Nachgedacht: Banksys Menetekel - Botschaften an die Welt
Anfang August tauchte fast täglich ein neuer Banksy in London auf: von Steinbock bis Gorilla. Claudia Christophersen betrachtet Banksys Tierserie in ihrer Kolumne.
Sein Name ist ein Geheimnis, seine Person auch, seine Kunst sowieso. Plötzlich sind sie da: eine Zeichnung, ein Graffiti. Irgendwo auf der Welt, in einer Stadt, an einer Hauswand, einer Brücke, auf einem Irgendwas. Warum, zu welchem Anlass, mit welcher Intention er das tut, was er tut - es bleibt immer ein Fragezeichen. Für all diese vielen Ungewissheiten gibt es ein Etikett mit sechs Buchstaben: Banksy. Der Streetart-Künstler macht, spricht nicht, zeigt sich nicht, gibt allenfalls deutungsstarke Hinweise auf das, was er beabsichtigen könnte.
Viel Unbestimmtes also im Leben von Banksy und nur wenig Faktisches über ihn ist bekannt: 1973 oder 1974 geboren, in der Nähe von Bristol. Wo er sich aufhält? Auch das weiß maximal seine Agentur, die selbstverständlich schweigt. In einem einzigen Interview, das er wohl mal gegeben hat, dem "Guardian", viele Jahre ist das her, sagte er: "Ich muss anonym bleiben, um bei meiner Arbeit nicht gestört zu werden."
Banksys neue Tierserie gibt Rätsel auf
In diesen Augusttagen sorgt Banksy wieder für Aufregung. In London tauchte täglich ein Bild auf: ein Steinbock, Elefanten, Affen, ein Wolf, Pelikane, eine Raubkatze, Piranhas, ein Nashorn. Das letzte Bild der Neuner-Serie war ein Gorilla an den Toren des Zoos. Groß, kräftig hebt er ein Rolltor hoch und lässt Tiere frei. Eine Robbe ist schon raus, Vögel auch, sechs weitere Augenpaare hoffen auf Freiheit.
Was hat es mit den Tier-Bildern auf sich? Was ist ihre Botschaft? Ist sie politisch? Israel, Gaza, England selbst? Banksys Werke sind oft nur kurzlebig, auch weil unwissende Reinigungskräfte, Hausmeister schnell mit Schrubber und Putzmitteln zur Tat schreiten. Wer nicht weiß, wer Banksy ist, wer nicht weiß, dass es sich um Banksy-Kunst handelt, wer nicht weiß, dass Banksy teuer ist, womöglich Millionen kosten kann, der wischt eben ab, räumt ab, baut ab.
Das Internet ist Banksys Ewigkeitspräsenz
Banksy selbst kümmert das nicht. Banksy ist uneitel. Das Internet ist seine Referenz. Hier hinterlässt er seinen Fingerabdruck, postet die Bilder auf Instagram und sagt damit: Ich war's. Im virtuellen Raum trotzt Banksy allen, die ihn abwischen und abbauen wollen, hier ist seine Ewigkeitspräsenz.
Als 2007 das erste Banksy-Graffiti in London samt Gebäudemauer gestohlen wurde, war Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, elektrisiert. Sogenanntes "Geschmiere" von Sprayern, die sich mit ihren Sprühdosen auf Mauern, Zugwaggons austoben, das kannte man damals schon. Das hier war anders. Das, was Banksy machte, schien doch Kunst, große Kunst zu sein. Banksy begeisterte so sehr, dass seine Werke sogar "entführt" wurden. Kunst-Kidnapping? Wow! Das war damals eine echte Sensation. Schirrmacher, instinktsicher für alles Außergewöhnliche, gefiel das. Da war etwas gerade da, und dann auch schon wieder chimärenhaft weg, atemberaubende Aufregung! So etwas belebt den Diskurs, das Feuilleton.
Zur aktuellen Tierserie ließ Banksys Presseteam mitteilen: Er "wolle einfach ein wenig Heiterkeit in diese dunklen Tage bringen". Guter Grund, Banksy, der scharfsinnige Witzbold! Der Londoner Zoo hat übrigens das Bild mit dem Gorilla, der das Tor in die Freiheit hebt, abgebaut und ersetzt durch eine Kopie. Die Botschaft scheint zu wichtig, um sie einfach im Irgendwo versanden zu lassen.