"Hand der Fatima" und Nazar-Amulett: Aberglaube bei Muslimen
Aberglaube spielt in unserer Gesellschaft nach wie vor eine Rolle. Wie blicken Musliminnen und Muslime auf dieses Thema? Der Hamburger Kabarettist Kerim Pamuk hat sich dazu seine Gedanken gemacht.
Freitag, der 13. bringt Muslimen kein Unglück. Das ergäbe auch keinen Sinn, denn sie würden dann ihren Feiertag der Woche, den Freitag, zum Unglück-bringenden Tag erklären. Bei aller Liebe zur Integration, da hört der Spaß oder das Unglück wirklich auf. Auch bei der so unheilvollen Zahl 13 klingelt bei Muslimen, genauso wie bei den Zahlen 14 oder 15, nichts.
Wo beginnt der Aberglaube?
Das bedeutet allerdings nicht, dass Muslime Rationalisten wären, die völlig immun gegen Aberglauben sind. Aber bevor wir zu den schönen Ritualen gegen böse Blicke, schlechte Gedanken und hinterhältige Geister kommen, sollten wir die Bezeichnung Aberglaube durch Volksglaube ersetzen. Denn im Wort Aberglaube steckt schon per Definition etwas Abwertendes, Herabsetzendes. Es impliziert, dass es im Gegensatz dazu einen "richtigen" Glauben gibt. Aber wer bestimmt, was "richtiger" Glaube ist? Wo endet denn der "richtige" Glaube und wo beginnt der Aberglaube?
"Hand der Fatima" und das "blaue Auge"
Der Volksglaube in den islamisch geprägten Ländern bietet jede Menge an Symbolen, Maßnahmen und Ritualen, um sich gegen irdische und überirdische Unglücke zu wappnen. Sehr bekannt ist die "Hand der Fatima": Sie stellt in stilisierter Form die Hand der jüngsten Prophetentochter dar. Es gibt die Hand der Fatima in allen möglichen Schmuckformen. Besonders beliebt ist sie im Nahen Osten und Nordafrika. Sie soll die Trägerin und den Träger vor bösen Blicken und bösartigen Dschinns schützen. Dschinns sind Hybride aus Mensch und Engel und sie schwirren in riesiger Anzahl zwischen Himmel und Erde herum.
Das "blaue Auge", salopp auch "Kuhauge" oder Nazar-Amulett genannt, soll ebenfalls vor dem bösen Blick, also vor Neid und Missgunst schützen. Es wird aus farbigem Glas hergestellt und in allen Größen unter das Volk gebracht. In der Türkei und Teilen Zentralasiens ist das blaue Auge aus dem Alltag nicht wegzudenken. Mit Goldfassung und groß wie der kleine Fingernagel wird es an den Strampler des neugeborenen Babys angeheftet. In Taxis baumeln blaue Augen am Rückspiegel, in Läden werden sie an der Eingangstür befestigt und bei Kühen und Kälbern hängen sie in stattlicher Größe um den Hals. Kühe sind Muslimen zwar nicht heilig, aber sehr kostbar und können ebenfalls Opfer von Neid und Missgunst werden.
"Muska": Das Amulett, das Probleme löst
Im Aussterben befindet sich leider der "Muska", ein hübsch verziertes und hohles Amulett aus Metall oder Stoff, in das man ein gefaltetes Papier mit segen- oder heilbringenden Suren steckt. Muskas funktionierten in etwa wie der große Online-Anbieter heute: Man ging mit bestimmten Problemen, Gebrechen oder Wünschen zum Hodscha, schilderte seinen Fall, der Hodscha kritzelte die passenden Suren auf Papier, faltete es formvollendet und steckte es in das Amulett. Danach spendete man völlig freiwillig der Moschee einen kleinen Betrag und trug das Amulett so lange um den Hals, bis das Problem gelöst, das Wehwehchen geheilt oder der Wunsch erfüllt war.
Möchte man in die Zukunft blicken, lässt man sich natürlich bei einer TÜV-geprüften Wahrsagerin aus dem Kaffeesatz lesen. Diese Form der Wahrsagerei erfreut sich auch bei biodeutschen Mitbürgern großer Beliebtheit. Wenn die Wahrsagerin die umgedrehte Mokkatasse bedeutungsvoll und langsam im Kreis dreht, anschließend ablegt, in die Tasse blickt und nach dramatischer Pause mit den Worten beginnt: "Es werden sich dir neue Wege eröffnen", weiß man sicher: Man sitzt einem Profi gegenüber.
Abergläubisch sind immer die anderen
Natürlich kann man sich mit dem eigenen, vermeintlich aufgeklärten Blick über diese Rituale und Amulette lustig machen, aber ein Blick auf unseren eigenen Lifestyle sollte uns vornehm zum Schweigen bringen. Nicht wenige nehmen Globuli, legen Heilsteine auf den Bauch, senden Wünsche ans Universum und erklären sich gleich mal selbst zu göttlichen Wesen. Auch Yoga wurde vollständig adoptiert, weil es ja die Antwort auf eigentlich alles ist.
Wir alle glauben an irgendetwas - abergläubisch sind natürlich immer die anderen. Solange wir damit keinem anderen schaden, ist dagegen nichts einzuwenden. Denn am Ende verbindet alle Menschen derselbe Wunsch: Sie wollen, so gut es geht, ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich dem Schicksal nicht ausgeliefert fühlen. Und wenn ihnen Amulette, Rituale und Yoga dabei helfen, warum nicht?
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