Kerim Pamuk © Lea Rieke Foto: Lea Rieke

Wie steht es um den Humor im Islam?

Stand: 01.04.2022 10:28 Uhr

Bei Scherzen mit religiösem Hintergrund fühlen sich viele gläubige Menschen angegriffen. Wie steht es grundsätzlich um den Humor im Islam? Der Comedian Kerim Pamuk hat sich Gedanken gemacht.

Kerim Pamuk © ndr.de Foto: Jil Hesse
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von Kerim Pamuk

Beginnen wir mit einem Witz: Der Imam beschließt seine Predigt an die Gläubigen mit folgender Mahnung: "Wenn ihr das Gebet und den Gang zur Moschee vernachlässigt, werdet ihr im Paradies nicht auf eure Frauen treffen!" Am nächsten Tag ist der Imam ganz alleine in der Moschee.

Womit die Frage beantwortet wäre, mit der jede Muslima und jeder Moslem in diesem Land früher oder später gerne traktiert wird: "Können Muslime über die eigene Religion lachen?" Ja, können sie, konnten sie schon immer. Worüber sie nicht mehr lachen können, ist die Frage selbst, denn meistens unterstellt sie schon eine negative Antwort.

Kommunikation zwischen Deutschen und Muslimen läuft schief

An dieser Frage kann man wunderbar festmachen, was in der Kommunikation zwischen Deutschen und Muslimen schiefläuft, denn allein die Begriffspaarung suggeriert einen Gegensatz, den es so längst nicht mehr gibt. Während man auf der einen Seite eine Ethnie nimmt, "Deutsche", greift man auf der anderen Seite zu einer Religion, "Islam". Und in letztere werden großräumig alle Menschen von Nordwestafrika über den Nahen Osten bis nach Asien gesteckt. Alles Muslime, irgendwie. Zu mehr Differenzierung ist das deutsche Gemüt noch nicht fähig, denn diese Menschen leben ja erst seit 60 Jahren unter uns.

Es gibt aber "die Muslime" genauso wenig, wie es "die Deutschen" gibt, und die meisten von ihnen sind nicht religiös. Sie besuchen die Moschee so selten wie der einheimische Christ die Kirche. Die Religion spielt im Leben all dieser Migranten eine untergeordnete Rolle. Macht nichts, ein Etikett muss reichen: "Muslime" - und die sind ja bekanntlich anders als wir, spätestens seit dem 11. September 2001. Wir unterstellen also Menschen mit unterschiedlichsten ethnischen Wurzeln eine Religiosität, die sie gar nicht haben, um uns dann besser von ihnen abzugrenzen. Ein Glanzstück deutscher Integrationspolitik. Aus dieser unterstellten Frömmigkeit folgt dann unweigerlich die Frage nach dem Lachen über die eigene Religion.

Lange satirische Tradition in vielen muslimischen Ländern

Die islamische Welt ist genauso heterogen wie die christliche, und die Menschen brauchen viel mehr Humor als wir in Mitteleuropa, um ihre schwierigen Lebensumstände zu ertragen. In vielen Ländern gibt es eine lange satirische Tradition und allein in Anatolien kursieren tausende Witze über bigotte Hodschas und den sehr menschlichen Propheten. Schon im ersten islamischen Jahrhundert waren sogenannte "Gegenreden" Mode, eine Art Vorläufer der heutigen "Rap-Battles". Berühmte Dichter unterhielten ihre Zeitgenossen mit poetisch-satirischen Duellen. Sie trafen sich auf Markplätzen und schleuderten abwechselnd dem Kontrahenten gereimte Beleidigungen an den Kopf. Wessen Schmähgedicht besonders lustig und kreativ war, verließ den Platz als Sieger.

Dogmatiker und Fanatiker sind in der Minderheit

Mit Lachen und Glauben tun sich Dogmatiker und Fanatiker schwer, ob sie nun Christen, Muslime oder Juden sind. Wer sich im Besitz der einzig gültigen Wahrheit wähnt und echte Gottesfurcht hegt, hat es nicht sonderlich mit Humor, ironischer Distanz und einer Weltsicht, die vieles nicht allzu ernst nimmt.

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Gott sei Dank sind die spaßfreien Dogmatiker und Fanatiker - auch unter Muslimen - in der Minderheit, obwohl sie oft am lautesten schreien. Die Meisten leben ihren Glauben pragmatisch und lebensnah, ihr Gott ist ein gütiger, ein verzeihender, kein finsterer Richter und Henker. Davon erzählt auch folgende Geschichte:

An der türkischen Schwarzmeerküste pflückt ein Bauer den ganzen Tag Haselnüsse. Zu seinem Pech liegt sein Feld an einem Abhang. Gegen Abend ist der Bauer müde und rutscht weg. Mit der einen Hand hält er den übervollen Korb und mit der anderen krallt er sich an einem Ast fest, der sich bedrohlich biegt. Unter ihm ist der Abgrund und über ihm kein Mensch in Sicht. Der Bauer ruft: "Hilfe, hört mich jemand? Hilfe!" Plötzlich spricht Gott zu ihm: "Hier ist Gott, ich höre dich, aber bevor ich dich rette: Hast Du gesündigt?" Der Bauer schreit: "Ist noch jemand anderes da? Ist noch jemand anderes da?"

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 01.04.2022 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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