Die Sucht nach Selbstoptimierung: Schönheits-OPs bei Muslimen
Ein makelloses Aussehen wird für viele Menschen gerade in Zeiten von Social-Media immer wichtiger. Dieser Trend hat längst auch die islamische Welt erreicht. Ein Kolumne von Kerim Pamuk.
Es hat etwas Tröstendes und zugleich Deprimierendes, dass wirklich jeder Trend und jede Mode früher oder später an allen Enden der Welt ankommen. Wenn man nicht gerade den südlichen Südpol bereist oder sein Zelt mitten in der Sahara aufschlägt, begegnet man viel zu oft sich selbst und das nicht nur seelisch. So hat die Sucht nach innerer und äußerlicher Selbstoptimierung längst auch die islamische Welt erreicht, und viele Muslime gehen so selbstverständlich zum Schönheitschirurgen wie zum Friseur.
Istanbul: Das Mekka der Schönheitschirurgie
Sie können nach Istanbul reisen und mit der Fähre eine Bosporus-Tour machen, bei der Ihnen vor lauter Schönheit und Weite der Atem stockt. Sie können dort in der wunderschönen Süleymaniye-Moschee verweilen und die erhabene, spirituelle Atmosphäre auf sich wirken lassen. Und wenn Sie über die Istiklal-Caddesi laufen, die Prachtmeile in der historischen Altstadt, werden Sie öfter arabischen Männern aus den Golfstaaten begegnen, deren Köpfe seltsam aussehen. Die Schädel sind kahlrasiert, mit einer orange-gelben Farbe überzogen und am Hinterkopf klebt ein großer Verband. Diese Männer haben sich nicht geprügelt und lustigerweise alle die gleiche Wunde davongetragen, sondern sich Haare vom Hinterkopf auf das Lichte Haupt transplantieren lassen.
Istanbul ist das Mekka der Schönheitschirurgie und wird auch bei Westeuropäern immer beliebter, da die Eingriffe wesentlich günstiger als hierzulande sind. Man kann sich dort auch die Nase richten, die Lippen aufspritzen, das Fett absaugen und den Magen verkleinern lassen. Viele Kliniken haben sich auf Schönheitschirurgie spezialisiert und bieten Komplett-Pakete inklusive Flug, Shuttle-Service, OP-Eingriff und Hotelaufenthalt an. Alles bequem online buchbar. Drei, zwei, eins, neues Nasenbein meins.
Welcher Nasentyp ist gerade angesagt?
Möchte man wissen, was in der islamischen Welt 'state of the art' ist, also 'state of plastic surgery', muss man nur durch arabische und türkische Sender zappen. Egal, ob die Sprecherinnen, Moderatorinnen oder Sängerinnen westlich gekleidet sind oder ein Kopftuch tragen: An den Nasen kann man erkennen, welcher Typ gerade angesagt ist. Ähnlich verhält es sich mit Lippen und Wangenknochen. Was manchmal nicht einer gewissen Komik entbehrt, wenn unterschiedlichste Frauentypen mit den unterschiedlichsten Köpfen das gleiche Nasenmodell tragen, das mal mehr, mal weniger zum Gesicht passt.
Schönheits-OP aus religiöser Sicht: erlaubt oder verboten?
Die beliebtesten Eingriffe bei Frauen sind Brustvergrößerungen, Nasenoperationen und Fettabsaugungen, während Männer Haarimplantate und Nasenkorrekturen bevorzugen. Der Wunsch nach Veränderung macht auch vor muslimischen Gläubigen nicht halt, wobei diese vor dem Gang zum Lifting eine Frage kläre müssen: ob nämlich der Eingriff aus religiöser Sicht erlaubt oder verboten ist. Bei dieser Frage herrscht unter seriösen islamischen Gelehrten größtenteils Einigkeit. Wenn am Körper etwas Unnatürliches, Einschränkendes, Krankhaftes korrigiert werden soll, ist der Eingriff erlaubt. Wenn man zum Beispiel nicht durch die Nase atmen kann oder mit Verformungen und Narben nach einem Unfall zu kämpfen hat, darf man sich dem Eingriff zur Heilung unterziehen. Wenn man also an dem aktuellen Zustand seines Körpers leidet, ist der Gang zum plastischen Chirurgen erlaubt. Soll der Eingriff aber nur der subjektiven Verschönerung dienen, ist die Operation verboten.
Womit wir im wunderbaren Raum der Auslegung wären. Denn wo genau beginnt der Leidensdruck? Ist es schon seelisches Leid, wenn man die eigenen Lippen für viel zu dünn hält und die Nase für zu breit? Oder ist das nur verletzte Eitelkeit? Diese Fragen kann natürlich nur die Betroffene oder der Betroffene selbst beantworten und dann dem Arzt glaubhaft vermitteln, warum man sich den Eingriff wünscht. Überraschenderweise ist die Anzahl liberaler, verständnisvoller Chirurgen, die solche Eingriffe vornehmen, in der islamischen Welt wesentlich höher, als die der frommen, die den Eingriff ablehnen, weil sie dem Patienten nur Eitelkeit unterstellen, und damit der Eingriff in Gottes grundsätzlich vollkommener Schöpfung Sünde wäre. Noch verständnisvollere Schönheitschirurgen als im Orient findet man übrigens in den USA und Brasilien.
Vor dem Schönheitswahn sind alle gleich
Der Wunsch nach Optimierung des Äußeren scheint ein universeller Wunsch zu sein, bei der es wohl nur eine Regel gibt: Man lässt machen, was möglich und bezahlbar ist. Manchmal auch gerne über jede optische Schmerzgrenze hinaus. Warum die Ernährung umstellen, wenn man sich einfach den Magen verkleinern lassen kann? Warum nicht die tollen Lippen gleich der Lieblingssängerin aufspritzen lassen, die man wunderschön findet? Es hat etwas wirklich Tröstliches und zugleich Deprimierendes, wenn man feststellt: Vor dem Schönheitswahn sind alle gleich.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.