Bundestag debattiert auf Plattdeutsch, Friesisch und Dänisch
Am 1. März 1998 trat die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Kraft, um den Erhalt kleinerer Sprachen zu fördern. Zum 25. Jahrestag ist die Charta nun heute Thema im Bundestag - bei einer Debatte, die sprachlich besonders wird.
Vor gut einem Jahr, im Januar 2022, feierten Johann Saathoff (SPD), Gyde Jensen (FDP) und neun Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus dem Deutschen Bundestag die Gründung des Parlamentskreises Plattdeutsch - und das partei- und regionsübergreifend. "Plattdüütsch is ene Spraak, de snackt man mitenanner, unafhängig dorvun, ut welke Frakschoon man kümmt oder welke politische Instellen man hett", sagte Jensen damals im Interview mit NDR 1 Welle Nord.
Wunsch nach einer plattdeutschen Debatte im Bundestag wird erfüllt
Nach diesem ersten Austausch äußerte die Abgeordnete aus Schleswig-Holstein auch ein klares Ziel des Parlamentskreises: "Wi wüllt in disse Legislaturperiode ene plattdüütsche Debatte in't Parlament föhren, dat is överfällig!", so die Politikerin. Immerhin habe man dafür ja noch vier Jahre Zeit, das sollte wohl zu schaffen sein.
So lange hat es nun doch nicht gedauert: Auf der Tagesordnung für die 88. Sitzung des Deutschen Bundestags am 2. März 2023 steht zwischen einem Null-Euro-Ticket für Studierende, der Digitalisierung im Bauleitverfahren und Migrationspolitik eine Debatte zu Regional- und Minderheitensprachen.
Reden auf Platt, Friesisch, Dänisch, Sorbisch - alles ist möglich
Weil es bei dieser ausdrücklich erwünscht sei, dass die Mitglieder des Bundestags ihre Reden in einer der vielen Regional- oder Minderheitensprache halten, hat sich Gyde Jensen schon was im Kopf zurechtgelegt: sie wird auf Plattdeutsch schnacken, "aver ik kann dat nich so goot schrieven un schon gor nich aflesen", sagt die Abgeordnete. Also wird sie frei reden, über ihre Heimatsprache, ihre Identität.
Auch Linda Heitmann, Abgeordnete der Grünen aus Hamburg-Altona, bereitet ihre Rede auf Plattdeutsch vor. Dabei ist sie keine Muttersprachlerin, ist mit der Sprache nur als Kind beim Theater in Berührung gekommen. Aber ihr Herz schlage fürs Niederdeutsche, sagt sie: "De Plattdüütsche Spraak is een Part vun Norddüütschland un dor müsst wi veel mehr doon: De Kinners, de Lütten in'e School, müsst de Spraak veel mehr in ehrn Alldag hebben, un dorför will ik mi insetten." Deshalb ist sie auch Mitglied im Plattdeutschen Parlamentskreis.
Bewusstsein für Regional- und Minderheitensprachen stärken
Für ihre Rede hat Heitmann sich - was die Sprache betrifft - ein bisschen Unterstützung bei einem Kollegen aus der Hamburger Bürgerschaft geholt. In der Debatte soll es um die Situation der Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland gehen und um den Stand bei der Umsetzung der Europäischen Charta.
Beschlossen wird nach dieser Aussprache des Parlaments nichts, aber: "Ik glööv, de Debatte is goot, üm in't Bewusstsein to hebben, dat Minnerheitenspraken en Deel vun’e Kultur in Noorddüütschland sünd", sagt Heitmann. Ein Punkt, in dem ihr Johann Saathoff, einer der Initiatoren der Debatte, zustimmt: "Wenn man ok süht, dat dat ene reelle Spraak is, mit de man sik vernünftig ünnerhollen kann, denn bringt dat letzten Endes ok wat", ist der Abgeordnete aus Emden überzeugt.
2018: Johann Saathoff kontert AfD-Antrag auf Platt
Saathoff selbst war es auch, der schon am 2. März 2018 mit einer größtenteils niederdeutschen Rede im Bundestag für Aufsehen sorgte: Damals konterte der SPD-Politiker einen Antrag der AfD größtenteils in seiner Muttersprache. Die AfD hatte zuvor gefordert, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern. Jetzt, auf den Tag genau fünf Jahre später, wird es erstmals eine komplette Debatte, einen ganzen Tagesordnungspunkt, in Regional- und Minderheitensprachen geben.
Auch 1994 ging es schon um die Europäische Sprachencharta, der mehrere Bundesländer beitreten wollten, um das Plattdeutsche zu schützen und zu fördern. Einige Abgeordnete durften daraufhin op Platt referieren, auch Wolfgang Börnsen (CDU) aus Bönstrup in Schleswig-Holstein. Er betonte, dass es sicher auch wichtigere Themen gebe, aber der Erhalt einer Muttersprache viele Menschen bewege: "Denn Moderspraak is: to Huus sien, een Barg von Seekerheit hebben, een Stück Heimat beholen." Im Transkript der Sitzung ist daraufhin "Beifall im ganzen Haus" vermerkt.
Gremien: Vieles schon bewegt, vieles noch möglich
Der Erhalt der Sprache bewegt auch heute noch viele Menschen, ob zu Hause in der Familie oder in den sprachpolitischen Gremien. Christiane Ehlers leitet das Niederdeutschsekretariat, das sich neben der Förderung des Plattdeutschen unter anderem auch um die Umsetzung der Sprachencharta bemüht. Und die habe maßgeblich zum Ansehen der Sprache beigetragen, meint Ehlers: "Wenn dat en europäischet Afkamen gifft, wat de Spraak schulen deit, denn mark ik jo ok as Sprekerin, dat dat ene wichtige Saak is, de een bewohren mutt."
Zudem würde heute ohne die Charta sicherlich nicht an vielen Schulen in Schleswig-Holstein Niederdeutsch auf den Stundenplänen stehen, ist sich Christiane Ehlers sicher. Dennoch: Mehr gehe immer.
Das sieht auch Jan Graf so, Sprecher des Plattdeutschen Rats für Schleswig-Holstein: "De Utstafferen mit finanzielle Middels is relativ ungliek verdeelt", findet er. Das zeige der Vergleich mit den vielen anderen kleinen Sprachen in Europa. Um eine Sprache wirklich auch in Zukunft zu bewahren, bräuchte es häufig schlicht mehr Geld. "Liekers: wi schnackt doröver un wi hebbt een goden Draht to de Politik", so Graf - und klar sei auch: Mit Charta gehe es besser als ohne.
Für Stenografinnen und Stenografen wird es kompliziert
Was am Donnerstag dann sicher wieder eine Herausforderung wird: Die Stenografinnen und Stenografen müssen alles, was im Parlament geschieht, mitschreiben. Bei der Sitzung 1994 wurden damals im Nachhinein Übersetzungen der Reden in den Anhang der Unterlagen eingefügt. So wollte man sichergehen, dass auch wirklich alles richtig wiedergegeben wurde.
Dieses Mal hat sich der Stenografische Dienst dafür fachkundige Unterstützung geholt: Dr. Reinhard Goltz vom Institut für niederdeutsche Sprache in Bremen hilft dabei, alles korrekt zu Papier zu bringen. Trotzdem: Plattdeutsch wird ja nicht die einzige Sprache der Debatte sein. Linda Heitmann plant, auch einen Ausdruck auf Irisch in ihrer Rede unterzubringen. "Und so wie ich es gehört habe, ist Stefan Seidler vom SSW ganz aktiv dabei, auch Friesisch und Dänisch in seiner Rede einzubauen", verrät die Abgeordnete.