Comiczeichner "Brösel" zum 75. Geburtstag: Viel mehr als Werner!
"Werner"-Erfinder Rötger Feldmann alias "Brösel" wird morgen 75 Jahre alt. Zeit einen Comiczeichner zu ehren, dessen Werk Generationen geprägt hat und viel mehr zu bieten hat als Flachköpper, Flaschbier und "goile Paadie".
Apropos Flaschbier! Die Redaktion des Plattdeutschen Netzwörterbuches SASS hat verkündet, dass sie Rötger Feldmann zu Ehren das Wort "Bölkstoff" (scherzhaft) für "Bier" mit in ihr Wörterbuch aufgenommen hat. Nun ist es offiziell Bestandteil der plattdeutschen Kultur und ein schönes Geschenk für den Comic-Künstler, der in unserem aktuellen Online-Format "Mit Drift - Lüüd mit Ideen" sein "Coming out" als Plattschnacker feiert.
"Bölkstoff" im Wörterbuch
Wie kann man jüngeren Generationen den Kult um die urnorddeutsche Comicfigur Werner und ihren Schöpfer Rötger Feldmann alias "Brösel" erklären? Wie soll man ihnen verständlich machen, dass im Jahr 1988 mehr als 200.000 Fans einen kleinen Regionalflugplatz im Kreis Segeberg stürmten, um einem Rennen beizuwohnen, das nur wenige Sekunden dauerte und bei dem ein roter Alltags-Porsche 911 gegen eine absurd aufgemotzte Horex gewann und bei dem der Verlierer mit Katzenscheiße beworfen werden sollte?
Was überhaupt ist eine Horex? Ich fuhr damals nicht so ein 50er-Jahre Wirtschaftswunder-Motorrad aus den Homburger Motorenwerken, die ursprünglich Einweckgläser produziert hatten. Aber bei meiner japanischen Einzylinder-"Schüssel" vibrierten - beziehungsweise bröselten - dann auch immer wieder mal Teile ab, genauso wie bei Rötger Feldmann, der so zu seinem Synonym "Brösel" kam.
Die frühen Jahre des Rötger Feldmann
Rötger Feldmann wird am 17. März 1950 in Travemünde geboren. Er wächst im Hotel seiner Großeltern an der Uferpromenade auf. Aus beruflichen Gründen zieht die Familie einige Jahre später nach Flensburg. Rötger absolviert die Volksschule und schließt eine Lehre als Lithograph ab. Währenddessen entwickelt sich seine Leidenschaft für die Schrauberei, erst an Mopeds, dann an Motorrädern. Und nebenbei, wenn er sich langweilt, hält er den einen oder anderen witzigen Moment aus seinem Alltag zeichnerisch fest - Erlebnisse mit Freunden, schrulligen Hausnachbarn, Arbeitskollegen und Vorgesetzten, die den Stoff für spätere Werner-Comics und Kinofilme bilden werden.
Der Weg zum Erfolg
Nach einer betriebsbedingten Kündigung - ein Vorgesetzter erwischte ihn beim Zeichnen von Karikaturen, deren Gegenstand er war, und die Auftragslage war sowieso mau - folgten sechs Jahre der Arbeitslosigkeit. Brösel hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und tingelte von WG zu WG. In dieser Zeit lernte er Holger Henze kennen. Der Betreiber der Künstlergalerie Club 68 in Kiel förderte sein Talent und stellte den Kontakt zum Satiremagazin "Pardon" her. "Das war meine beste Zeit. Da ist die ganze Kreativität entstanden", sagt Brösel.
Der Werner-Kult
Die Karriere vom Bier- beziehungsweise "Bölkstoff"-trinkenden Arbeitslosen, der in den 90er-Jahren zum erfolgreichsten Comiczeichner Deutschlands aufstieg, nahm ihren Weg. Durch zahlreiche Kinofilme breitete der Werner-Kult sich im gesamten deutschsprachigen Raum aus. Man sagte nun auch in Bayern nicht mehr nur "Prosit" sondern "Hau wech die Scheiße" und bediente sich der einfachen Monteurs-Weisheit "Nach zu kommt ab", wenn eine Reparatur schiefging.
Brösel als Satiriker
Doch es gibt auch einen anderen Brösel. Einen, der keine Flachköpper macht, sondern tief in Gesellschaft und Politik eintaucht und Satiren zeichnet. Seine teils unveröffentlichten Frühwerke aus der Vor-Werner-Zeit sind vor dem Hintergrund von Vietnamkrieg, Aufrüstung und Studierendenprotesten entstanden. Brösel war 17 Jahre alt, als am 2. Juni 1967 der junge Student Benno Ohnesorg bei einer Anti-Schah-Demonstration in Berlin von einem Polizeibeamten erschossen wurde. Selbst wenn er mit seiner "Horex Regina 350" fernab der Großstadt über die norddeutsche Tiefebene chopperte, wird ihn das nicht kalt gelassen haben. Und der sprichwörtliche "Muff von tausend Jahren" hatte sich ja nicht nur unter den Talaren der Professoren verkrochen, sondern autoritäre Strukturen lebten in vielen gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen fort.
Freiheit, Rebellion und die StVzo
So verstieß Brösel mit seinen hart umgebauten Zweirädern und seinem unangepassten "Easy Rider"-Lifestyle immer wieder gegen diverse Regeln im Straßenverkehr.
"Wir waren frei und wild und wir haben gemacht, was wir wollten." Brösel über seine frühen Jahre
Tatsächlich hatte Brösel das legendäre Roadmovie mit Dennis Hopper und Peter Fonda im Kino gesehen und war nach eigenem Bekunden schwer beeindruckt. Darin sprechen die Outsider am knisternden Lagerfeuer jene legendären Worte:
"Das, was wir für sie repräsentieren, ist nur jemand, der sich nicht die Haare schneidet. - Oh nein, was du für sie repräsentierst, ist Freiheit." Aus "Easy Rider"
Und Freiheit ist nichts weiter, als ein Wort dafür, dass man "Nothing left to lose", nichts zu verlieren hatte, weil man nur wenig besaß, wie Janis Joplin es passend besang. Ein Zustand, der in den 70er-Jahren exakt auf Brösels prekäre Lebenslage zutraf. Sechs Jahre war er arbeitslos, zog ohne feste Meldeadresse von einer Wohngemeinschaft zur nächsten und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Währenddessen türmten sich die Strafzettel und der Konflikt mit TÜV, Zulassungsbehörde und Polizei erreichte einen Höhepunkt: Wegen nicht gezahlter Zahlungsaufforderungen landet der Biker für eine Woche im Gefängnis.
Die Rache des Comic-Künstlers
Vertreter der Staatsmacht wird er in seinen Comics später als Deppen darstellen, die aufgrund mangelnder Intelligenz eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen und mit Banane anstelle der Pistole im Holster auf Patrouille gehen. Eine Geschichte, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist jene, in der die beiden Polizisten Helmut (oder war es Bruno?) sich so tollpatschig mit einem Funkgerät anstellen und sich dabei so aufregen, dass es den Demo-Einsatz nicht überlebt und in 1.000 Teile zerstiebt. Das ist slapstickhafte Situationskomik, die man sonst nur bei Louis de Funès in seinen besten Filmen findet, hier von Brösel mit dem Zeichenstift genial in Szene gesetzt.
Gesellschaftskritik und Frühwerke
Der Verlag hat in jüngster Zeit teils unveröffentlichte Frühwerke publiziert, in denen auch gesellschaftskritische Karikaturen zu finden sind: Da geht es um Kritik an Konsumgesellschaft, Politik und Militär, die auch Jahrzehnte später noch Zündstoff bieten können. Da sind die Bakuninis, ein durchgeknallte Anarcho-Familie, die mit Bomben, Maschinengewehren und Weltrevolution hantieren und sich dabei häufig selbst in die Luft sprengen.
Die Gefahr des Testbilds
In einer anderen Geschichte geht es um etwas, das die Generation Z aus eigenem Erleben so nicht mehr kennen dürfte, nämlich die Gefahr, nach Sendeschluss vor dem rauschenden, knarzenden Testbild einzuschlafen. Was dann passieren kann, illustriert Brösel plastisch am Beispiel des Fernsehzuschauers Karl Dumpfmeier. Der wird seine Empfangsstörungen im Kopf nicht mehr los und rastet am Ende der Geschichte vollkommen aus.
Der Werner-Kult und die "goile Paadie"
Warum überrannten am 4. September 1988 mehr als doppelt so viele Menschen als erwartet - nach Angaben des Veranstalters eine viertel Million Fans - den kleinen Flugplatz von Hartenholm? Sie kannten die verrückte Kneipenwette bereits aus den Comic-Heften und wollten Werner und Holgi jetzt in echt im Red-Porsche-Killer-Rennen erleben. Auch gab es ein attraktives Rahmenprogramm mit internationalen Stars, aber die einfache und vielleicht auch treffendste Antwort, in Werner-Worten gesprochen, könnte lauten: Weil sie schlichtweg eine "goile Paadie" haben wollten. Und das ist wohl ein menschliches Grundinteresse, das sich von Generation zu Generation vererbt und in ganz eigener Weise immer wieder neu Bahn bricht.
