Abi auf Friesisch: Gelebte friesische Kultur auf Föhr
Auf Föhr kann man die Abiturprüfung im Fach Friesisch ablegen - das ist weltweit einzigartig. Auf der Insel ist man stolz auf die friesische Identität, doch Gentrifizierung bedroht die Föhrer Kultur.
Ihre schriftlichen Abiprüfungen hat Gesche schon hinter sich gebracht. Gerade bereitet sie sich auf die mündliche Prüfung Ende Juni vor - in Friesisch, ihrer Muttersprache. "Dass man das als Abiturfach mündlich machen kann, ist natürlich ein Vorteil. Man kann leicht gute Punkte bekommen, aber ich habe das auch gewählt, weil man in diesen drei Jahren in der Oberstufe doch schon einiges lernt, was man sonst im Alltag nicht lernen würde - vor allen Dingen über die Geschichte."
Friesisch im Abitur: Weltweit einzigartig
Gesche fühlt sich ihrer Heimat, der Insel Föhr, sehr verbunden: "Ich hatte die Tracht zum ersten Mal zur Konfirmation an und ich ziehe die auch zur Zeugnisvergabe an. Das machen viele. Jedes Mädchen oder jede Frau ist stolz, die zu tragen."
Bis zur 13. Klasse ist Gesche auf die Eilun Feer Skuul gegangen. Ihre beiden Friesischlehrer sind zwei von 2500 Föhrern, die noch Fering sprechen, den Föhrer Dialekt der friesischen Sprache. Friesisch im Abitur, das geht nur auf Föhr und ist weltweit einzigartig.
Weniger Distanz auf Friesisch
Friesisch ist für Lehrer Erk Roeloffs Lebensgefühl und Gemeinschaft: "Es ist eine eigene Sprache und die ist gleichwertig zu sehen mit anderen Sprachen. Es kommt nicht drauf an, wie viele Leute es sprechen, sondern es ist eine eigene Identität, die dahinter steckt. Die spürt man auch unter den jungen Leuten. Wenn man sich auf Friesisch begegnet, begegnet man sich anders - mehr auf Augenhöhe, auch im Kontakt mit den Schülern. Das 'Sie' gibt es nicht auf Friesisch. Man ist gleich per 'Du'. Es ist trotzdem Respekt da, aber weniger Distanz."
Friesisch als Geheimsprache und Integrationshilfe
Für die Hälfte der 11. Klasse ist Friesisch die Muttersprache. Die anderen müssen die Sprache ganz neu lernen. "Mit meinen Freunden von Föhr-Land sprechen wir Friesisch und das ist einfach schön", sagt Emelie Brodersen. "Es ist auch schön, wenn man unterwegs ist, in Wyk oder so, und über die Touristen spricht, das man da immer seine eigenen Sprache hat."
"Ich mag Friesisch eigentlich auch viel lieber sprechen als Deutsch", findet Michel Pergande, "weil ich einfach mit Friesisch mehr verbinde als mit Deutsch." Linus Petersen meint: "Leute, die hergezogen sind, die Deutsch sprechen, versuchen sich anzupassen. Die lernen dann Friesisch - und das ist auch total wichtig und auch genau richtig so."
Schülerinnen und Schüler übersetzen selbst
Weil es nicht allzu viele Schulbücher auf Friesisch gibt, erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler ihre Unterrichtsmaterialien zum Teil selbst. Unterstützung bekommen sie von der Friesenstiftung auf Föhr. In der dortigen Bibliothek stehen die Werke, die die vergangenen Abiturjahrgänge ins Friesische übersetzt haben.
"Literatur friesieren" nennt es Volkert Faltings, Vorstand der Ferring-Stiftung: "Die Stiftung dient nur einem einzigen Zweck: Friesische Sprache, Kultur und Geschichte zu fördern. Von Anbeginn haben wir uns die Schulen vorgenommen und arbeiten mit dem Gymnasium seit 30 Jahren sehr eng zusammen. Ich bin wahrscheinlich der bestinformierteste alte Herr auf Föhr was junge Leute anbelangt. Ich weiß alles, die erzählen mir alles. Das finde ich sehr sympathisch."
Identifikation durch Sprache
Während auf dem Festland friesisch vielerorts ausstirbt, ist auf Föhr die Prozentzahl seit Ende der 60er-Jahre konstant. Vielleicht durch die Insellage, aber die Sprache wird auch durch die ältere Generation gefördert. "Friesisch ist wichtig für ihre eigene Identität", erklärt Volkert Faltings. "Man kann in einer globalisierten Welt nicht nur global sein, man muss auch irgendwo verortet sein. Da bietet sich etwas an, das andere Leute nicht haben. Das ist etwas Eigenständiges, etwas, das alle Insulaner auszeichnet. Die haben alle dieses Gefühl. Jung wie alt."
Volkert Faltings, eigentlich längst pensioniert, unterrichtet weiter an der Schule. Er baut auf die Jugend, denn die friesische Kultur ist bedroht. Überall auf der Insel werden alte Friesenhäuser abgerissen und luxuriöse Ferienwohnungen gebaut: "Dann sind wir beim Thema Gentrifizierung, also Kulturwandel durch Einfluss von außen."
Gentrifizierung bedroht die Föhrer Kultur
Reiche Zweitwohnungsbesitzer verdrängen die Einheimischen, viele Dorfgemeinschaften sind bereits tot. Die jungen Föhrer sind ernsthaft besorgt, erzählt Alice Helmboldt aus der zwölften Klasse: "Viele von uns würden gerne ihre eigenen Kinder hier mit ihrer heimatlichen Kultur aufziehen, aber das ist nur noch selten möglich, sich hier eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen."
"Verloren gehen würde in meinen Augen eine ganze Identität von uns", meint Zwölftklässlerin Greta Eisersdorff, "und die Kultur mit all ihren Bräuchen und Traditionen, die sich in den letzten Jahren aufgebaut haben." Dem stimmt auch Friesischlehrer Volkert Faltings zu: "Man muss keinen Minderheitenschutz mehr betreiben. Wir sind einfach nicht mehr da. So einfach ist das, ganz banal."