"Es geht um Sichtbarkeit": Miu über Frauen im Musikgeschäft
Für ihr erfolgreiches Doppelalbum hat Miu glänzende Kritiken bekommen. Im Interview spricht die Hamburger Multiinstrumentalistin über die ganz persönlichen Inhalte ihrer Songs und Frauen im Musikgeschäft.
"Modern Retro Soul" lautet der Titel des erfolgreichen Doppelalbums der Hamburger Band Miu aus dem Jahr 2019. Miu gehört zu den vielversprechenden Talenten der deutschen Pop-Szene. Bei ihr treffen "die Sounds vergangener Tage auf moderne urbane Beats." Normalerweise tritt die Band in größerer Besetzung auf. Zu NDR Kultur kam Miu mit ihrem Gitarristen und festen Band-Mitglied Magnus Landsberg, der selbst ebenfalls komponiert und textet. Im Gespräch mit Moderator Claus Röck ging es auch um den Weg zum Erfolg. Miu hat sich ihr Album per Crowdfunding ermöglicht. Außerdem sprach sie über die ganz persönlichen Inhalte ihrer Songs und Frauen im Musikgeschäft.
Frauen in der Musikszene ist ein großes Thema für dich. Außerdem: Chancen für Newcomer, Gleichberechtigung. Wie groß ist der Nachholbedarf bei diesen Themen?
Miu: Groß! Machen wir doch eine eigene Sendung dazu (lacht). Um es kurz zusammenzufassen: Es gibt strukturelle Probleme, die man anpacken muss. Das ist in Teilen auch unangenehm. Wir haben in der Kultur immer noch eine Schieflage: Im Popbereich ist das komplette Risiko privatwirtschaftlich ausgelagert. In der Kultur hat man mit vielen Widrigkeiten zu tun, bis überhaupt ein Projekt auf die Straße kommt. Es läuft nicht nach dem Prinzip Angebot/Nachfrage, wie man sich das in anderen Jobs vorstellen kann. Es ist sehr viel schwieriger und komplexer, weil man ganz hohe Kosten hat, wenn man eine Platte machen will. Mit gekürzten Kulturbudgets wird es immer komplizierter für jüngere Künstler. Im Bereich Feminismus kennen wir - glaube ich - alle dieses plakative Beispiel von einem Festival, das ein Line-Up verkündet, und dann sucht man vergeblich die Frauen. Oder es gibt ganz klein unten eine "Orchideenfrau" - nach dem Motto: Wir haben ja eine.
Oder es gibt die sogenannte "Frauen-Bühne" - das habe ich auch schon gehört.
Miu: Das ist ja ganz furchtbar! Es geht um Sichtbarkeit und Role-Models. Es geht darum zu sagen: Die Frauen sind da! Ich kenne ganz viele Kolleginnen, die gibt es, aber die werden nirgendwo vorgestellt. Das ist ein Problem. Da muss man leider den Finger in die Wunde legen. Es sind strukturelle Probleme, wie wir sie ja auch in anderen Bereichen der Gesellschaft haben. Feminismus und Gleichberechtigung sind tatsächlich noch nicht auserzählt.
Ein Stück, das du mit Ukulele gespielt hast, hat den Titel "Ohana". Das entstammt dem Hawaiianischen. Und es gibt eine besondere Geschichte dazu. Magst du sie erzählen?
Miu: "Ohana" heißt Familie. Die Hawaiianer nutzen das Wort nicht nur so als Begriff, sondern als eine Art Sammlung von Bedeutungen für Familie. Sie sagen, dass man sich in seiner Familie immer aufeinander verlassen kann, dass man immer füreinander da ist - vor allem, wenn vorher auch ganz schön viel schiefgelaufen ist. Ich finde, das ist eigentlich die viel, viel schönere Bedeutung als all das, was wir mit diesen Bilderbuchfamilien so im Blick haben. Jede Familie hat ihre Geschichte. Die habe ich natürlich auch. Damit muss man manchmal auch Frieden schließen, gerade wenn es darum geht, sich für immer voneinander zu verabschieden - wenn man versteht, was ich meine. Darum geht es bei mir tatsächlich auch. Ich habe vor einigen Jahren meine Mutter verloren. Das kann ich so ganz offen sagen. Wir hatten ein problematisches Verhältnis. Aber als es dann so weit war, irgendwie Frieden zu schließen und füreinander da zu sein, war das für mich keine Frage des "Ob", sondern des "Wie?" und des "Wie lange?". Als ich das für mich in einem Lied verpacken wollte und musste, war ich auf der Suche nach Worten. Wenn man so ein Thema künstlerisch anfassen möchte, läuft es schnell Gefahr, dass es schlecht, kitschig, zu viel wird. Irgendwann bin ich über den Begriff "Ohana" gestolpert und dachte, das ist so eine schöne Bedeutung. Das passt viel, viel besser als alles, was ich sonst zu solchen Themen gefunden habe.
Ihr habt ein aktuelles Projekt, die "Corona Tapes". Sechs Songs in sechs Wochen, mit sechs Musikvideos. Könnt ihr beschreiben, worum es da geht?
Magnus Landsberg: Genau genommen sind es die "Corona Tapes 2". Bei den "Corona Tapes 1" dachten wir: Wie lange kann Corona schon dauern? Ein, zwei Monate. Da haben wir eine sehr, sehr optimistische, sehr funky tanzbare EP gemacht. Mehr als ein Jahr später war Corona irgendwie noch immer da. Dann haben wir die "Corona Tapes 2" gemacht. Die waren dann schon etwas introvertierter und folkiger. Wer Miu live und elektrisch sehen will, der kommt zu unser Live-Terminen. Wer Miu ganz fett produziert, mit Effekten hören will, der hört sich die normalen Alben an. Und wer uns ein bisschen unplugged und folkiger sehen will, der findet bei uns jetzt jede Woche schöne kleine Folksongs.