"Waves": Pianist Bruce Liu stößt das Tor zu neuen Räumen auf
Der Pianist Bruce Liu spielt auf seinem ersten Studioalbum Werke von Rameau, Ravel und Alkan. Hier paart sich Ausdruckskraft mit besonderem Können. Unser Album der Woche.
Als Sieger des Chopin-Wettbewerbs hat Bruce Liu vor zwei Jahren für Aufsehen gesorgt. Der Name des Pianisten klingt wie "Bruce Lee". Als Jugendlicher wurde ihm tatsächlich eine Ähnlichkeit mit dem Kung-Fu-Kämpfer nachgesagt - dabei fand er eigentlich Jackie Chan besser. Dennoch hat Liú Xiǎoyǔ daraufhin seinen für westliche Ohren kompliziert klingenden Namen abgelegt und nennt sich seitdem Bruce Liu. Jetzt ist sein Studiodebüt erschienen.
Zwei Jahrhunderte französischer Klaviermusik
Diesmal möchte er noch mehr zeigen als seine Chopin-Kunst: Zwei Jahrhunderte französischer Klaviermusik nimmt Bruce Liu in den Blick und unter seine Hände. Doch nicht die Hände seien entscheidend für Pianisten - er glaubt: die Schultern! Die übertragen die Energie.
Geboren als Sohn chinesischer Eltern in Paris, wuchs der heute 26-Jährige im kanadischen Montreal auf. Rameau ist für ihn der "Vater der Harmonie". Für die Werke des Barockmeisters hat sich Bruce Liu eigens von einem Cembalisten schulen lassen, hat gelernt, die Stimmführung auch ohne Dynamikwechsel klar wiederzugeben.
Bruce Liu: Ein wahrhaftiger Geschichtenerzähler
Beim Titel des Albums "Waves" dachte Bruce Liu an einen Ausspruch von Bruce Lee: "Leere deinen Geist, werde formlos. Formlos wie Wasser. Wenn du Wasser in einen Becher gießt, wird es zum Becher. Wenn du Wasser in eine Flasche gibst, wird es zur Flasche. Wasser kann fließen, kriechen, tropfen, stürzen und schmettern. Sei Wasser, mein Freund."
Unsagbar poetisch gestaltet Bruce Liu die "Oiseaux tristes" aus den "Miroirs", den Spiegelbildern von Maurice Ravel. Obertonreich, sanglich, mit einem feinen Sensorium für Zwischentöne: Im Spiel ist er ein wahrer und wahrhaftiger Geschichtenerzähler.
Bruce Lius überragende musikalische Intelligenz
Und dann geht die Reise weiter zu Charles Valentin Alkan. Rivale von Franz Liszt, ein exzentrischer Spätromantiker, gefürchtet für enorme technische Finessen. Alkans Oeuvre leidet bis heute genau darunter: dass kaum einer es verständlich und ästhetisch ansprechendend spielen kann.
Auch Bruce Liu hat natürlich nur zehn Finger und 88 Tasten zur Verfügung, und doch stößt er mit seiner Klavierkunst das Tor zu neuen Räumen auf.
Auch wenn in dieser Variation für mich ein Schnitt hörbar ist (ungewöhnlich übrigens für ein Label wie Deutsche Grammophon!), bin ich begeistert. Denn hier paart sich Ausdruckskraft mit besonderem Können: Offenbar kann Liu Virtuosität und Ausgestaltung in voneinander scheinbar unabhängigen Systemen gleichzeitig anwenden. Ein seltener Fall von überragender musikalischer Intelligenz.
Mit Rameau hat er begonnen, zu Rameau kehrt Bruce Liu am Ende zurück. Klanglich, musikalisch und pianistisch - diese Aufnahme ist in jeder Hinsicht ein Ereignis!
Waves
- Genre:
- Klassik
- Zusatzinfo:
- Bruce Liu, Klavier Werke von Rameau, Ravel, Alkan
- Label:
- Deutsche Grammophon