Beethoven und Improvisation: Wie das geht, zeigt Markus Becker
Auf seinem neuen Soloalbum "Regarding Beethoven" erweist sich Markus Becker erneut als Meister der Improvisation. Warum es schwer fällt, den Giganten Beethoven als Ausgangspunkt für Improvisationen zu nehmen, erzählt der Pianist im Interview.
Schon als kleines Kind begann Markus Becker, auf dem Klavier zu improvisieren. Dieser Leidenschaft ist er bis heute treu geblieben. Seit Jahrzehnten ist er eine feste Größe unter den deutschen Pianisten und bewegt sich stilsicher zwischen Klassik und Jazz hin und her. Seine Liebe für außergewöhnliche Programme, seine preisgekrönte Gesamtaufnahme der Klavierwerke Max Regers, seine langjährige Zusammenarbeit mit Alfred Brendel: All das sind Wegmarken einer beeindruckenden Karriere als Solist und Hochschullehrer. Kurz nach seinem 60. Geburtstag veröffentlicht Markus Becker am 19. Mai sein neues Improvisations-Album "Regarding Beethoven". Darauf spinnt er musikalische Ideen und Motive des großen Klassik-Komponisten weiter, der selbst ein berühmter Improvisator war. Becker möchte mit diesem Programm "etwas wirklich Neues" entstehen lassen.
Markus, du hast gesagt, du greifst dir Ideen aus den Werken von Beethoven raus. Sind das Motive, Rhythmen oder Stimmungen?
Markus Becker: Die Variationen eignen sich ganz gut als Einstieg, weil man, glaube ich, nachvollziehen kann, was passiert. Es gibt ein Thema, das ist sehr kurz, eine erweiterte Kadenz in C-Moll, so kann man das nennen, und über diese Kadenz improvisiere ich. Das ist jetzt doch sehr nah am Stück. Ich greife auch manchmal Motive auf und versuche, die ein bisschen zu verfremden, das entsteht im Moment. Aber es sind oft ganz kleine Elemente, die ich nehme, um etwas ganz Neues daraus zu entwickeln.
Ganz kleine Elemente von einem ganz großen Komponisten: Beethoven. Ein Gigant, das kann man nicht anders sagen. Warum hast du ihn für dieses Projekt ausgewählt?
Becker: Vielleicht genau deshalb. Er ist jemand, der über den Dingen steht und ich will mal einen neuen Blickwinkel auf den Giganten bekommen. Der Reiz liegt eigentlich darin, dass er sich, dadurch, dass er so wahnsinnig kompakt, dramatisch und ohne Kompromisse geschrieben hat, scheinbar so wenig für Improvisationen eignet. Man hat das Gefühl, da kommt man gar nicht rein. Es gibt Komponisten, die so großzügig mit dem Material umgehen und sozusagen Fünfe gerade sein lassen. Da hat man das Gefühl, das ist sowieso schon sehr improvisatorisch, da hänge ich mich jetzt mit rein. Bei Beethoven hat man das Gefühl, man muss erst mal durch etwas durch. Das war für mich diese Grundidee, über Ideen von Beethoven zu improvisieren und nicht über Werke.
Wie stellst du dir Beethoven vor? Was meinst du, was war das für ein Typ?
Becker: Ich glaube, er hat für das Komponieren auf Vieles verzichtet. Er war ein Mensch, der sehr mit sich selbst beschäftigt war. Er war sicher kein Partylöwe, da gibt es andere Beispiele, auch in seiner Zeit. Man sieht es auch an seinen Handschriften. Das fließt nicht einfach so dahin, sondern da ist wahnsinnig viel gestrichen. Ich bewundere immer die Lektoren, oder wie man sie nennt, die das richtig übersetzt haben. Das waren keine feinsäuberlichen Handschriften. Er hat verworfen, experimentiert und zu neuen Formen gefunden. Es gibt eigentlich keinen Komponisten, der sich von Stück zu Stück so entwickelt hat wie Beethoven. Jedes Stück hat einen ganz eigenen Fingerabdruck, es gibt keine Redundanzen.
Gibt es in deinem Kopf eine Art Landkarte, wenn du loslegst, zu improvisieren? Gibt es Wegmarkierungen, auf die du zugehst, oder werden die Finger zu ganz eigenständigen Wesen?
Becker: Es ist so: Wenn wir miteinander sprechen, dann improvisieren wir eigentlich auch. Das tun wir den ganzen Tag. Es ist letztlich etwas, was ich auf das Klavier übertrage, was wir aus dem täglichen Leben alle kennen. Das ist überhaupt keine Zauberei, sondern es ist ein Anhäufen von Erfahrungen. Alle Intervalle, alle Modulationen, alle Rhythmen, die wir jemals gespielt haben, das sammelt sich al2les an. Aus diesem Erfahrungsschatz kann man aussuchen. Ich erfinde die Musik nicht neu, sondern ich setze sie nur neu zusammen, wie das jeder Komponist tut. Tatsächlich ist es so, dass das ein Zusammenspiel ist. Ich habe das jetzt nicht ausgemessen, aber ich spüre das natürlich, dass einem auch manchmal die Finger den Weg weisen, denn die sind schneller als das Gehirn. Der Begriff Landkarte ist ganz gut. Ich steuere manchmal Inseln an. Natürlich ist das ein bewusster Prozess, aber gleichzeitig auch etwas, was sich per Intuition ergibt.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.