Sebastian Studnitzky: Klangkosmopolit und Multiinstrumentalist
Sebastian Studnitzky ist gefeierter Jazz-Trompeter und -Pianist. Er tourt weltweit mit Künstlern der elektronischen Szene, komponiert für klassische Besetzungen und unterrichtet als Professor an den Musikhochschulen in Berlin und Dresden. Ein Interview.
Sebastian Studnitzkys Kreativität und stilistische Offenheit kennen keine Grenzen. Das beweist er auch mit seinem vielbeachteten XJAZZ Festival in Berlin. Wenn Studnitzky Musik macht, dann entstehen subtile Melodien, bei denen alle Instrumente organisch eingebunden sind: mal sphärisch und meditativ, mal energetisch und tanzbar. Sebastian Studnitzky malt mit Tönen. In seinem Livekonzert bei NDR Kultur EXTRA tut er dies ganz allein: Als fabelhafter Trompeter, Pianist und Meister der elektronischen Klangerweiterung.
Du hast dieses Wissen als Komponist und als Arrangeur über die Musiktheorie, den Kontrapunkt, die Melodieführung und auf der anderen Seite das Wissen über den Jazz und das Improvisieren und das sehr freie Spiel. Kannst du überhaupt richtig improvisieren und dich von all der Theorie lösen, die du kannst und gelernt hast?
Sebastian Studnitzky: Eigentlich schon. Beim Improvisieren geht es auch darum, in den roten Bereich zu gehen. Eine Variation ist auch eine Improvisation. Ich bin nicht so ein Jazzmusiker, der ständig in jedem Solo krass virtuos improvisiert. Ich stelle eigentlich mein Spiel in den Dienst der Musik oder der Songs. Es gibt manchmal Songs, da kann man mit einem Ton improvisieren, da muss man nicht wahnsinnig harmonisch abgehen, sondern das kann völlig zutreffend sein, dass man sich einfach nur in einem gewissen kleinen Rahmen bewegt und im nächsten Song vielleicht komplett frei spielt. Das ist auch das Schöne an diesem Soloprojekt, dass ich, wenn ich jetzt ein Konzert spiele, ganz viele verschiedene Positionen einnehme. Es gibt manche Stücke, die spiele ich Ton für Ton runter, wie eine Komposition und klassische Musik. Es gibt Zwischenspiele, die können live auch mal eine Viertelstunde lang sein und ich mache, was ich will. Da habe ich keine Ahnung, wo das hingeht. Ich mag das total, mit diesen verschiedenen Funktionen zu improvisieren.
Eigentlich ist das in der historischen Entwicklung gar nicht so unüblich - auch in der Klassik. In Violinkonzerten haben die Solisten damals in der Kadenz improvisiert. Heute spielt man ganz oft die Fassung von dem und dem. Das ist etwas, wo man wieder hin zurück kann, was total spannend ist.
Studnitzky: Es kommen ganz viele Leute zu mir und sagen: "Boah, ihr improvisiert so toll, ich könnte das nicht." Dabei ist das Improvisieren das Natürlichste der Welt. Wenn wir uns unterhalten, improvisieren wir auch. In dem Moment, wo man ein Instrument beherrscht, kann man auch improvisieren. Das heißt, man spielt das, was einem in den Kopf kommt. Das ist die Urform der Musik und eigentlich nur ein minimaler Bruchteil der Musikgeschichte. Ich finde es absolut natürlich, zu improvisieren.
Was ist Jazz für dich? Wir sprechen da immer so locker drüber. Aber was bedeutet er dir?
Studnitzky: Es gibt gerade relativ viele Leute, die aus allen möglichen Gründen Jazz für andere definieren wollen. Das finde ich ein bisschen schwierig. Jazz ist für mich eine Musik, die mich geprägt hat, aber auf jeden Fall nicht die einzige. Dazu gehört auch Popmusik, elektronische Musik und improvisierte Musik. Nicht alles, was improvisiert ist, ist automatisch Jazz. Grenzen gibt es im Jazz nicht. Es ist immer eine Definitionssache. Ich möchte Jazz überhaupt nicht definieren, vor allem nicht für andere. So ist auch eigentlich unser XJAZZ! Festival in Berlin aufgebaut. Das ist total offen, stilistisch tendenziell eher zu offen, wo das Publikum sich das selber zusammensuchen kann. Ich finde, solange man das mit Respekt macht, ist alles okay. Ich kenne ein paar Leute, die sind Hardcore-Bebop-Musiker, bei denen sieht es in der Wohnung aus wie 1945 und die tragen genau die Klamotten und das finde ich absolut toll. Genauso gibt es Leute, die improvisieren auf dem Laptop und machen das super. Wenn man sich gegenseitig respektiert, finde ich das total schön, dass es so viele Stile gibt.
Wie ist das beim Komponieren? Hast du typische Routinen, geschieht das immer auf die gleiche Art und Weise, oder ist das mal so, mal so?
Studnitzky: Das geht immer ganz schnell. Das Anfangen dauert ewig. Wenn man anfängt, geht es eigentlich immer relativ schnell. Ich verlasse mich total auf den Instinkt. Ich komponiere immer einen Schwung. Die erste Idee schreibe ich sofort auf, ganz unkritisiert und dann lege ich sie zur Seite und höre es dann spätestens eine Woche später wieder an und mache weiter. Ich versuche den Kopf komplett draußen zu lassen aus der Nummer.
Was machst du, wenn es mal nicht funktioniert? Einfach eine Woche warten und dann wieder ransetzen? Hast du Tipps gegen Blockaden?
Studnitzky: Thomas Tuchel sagt immer, man muss über das Tun ins Spiel kommen, einfach anfangen. Ich schätze ihn als Trainer, es gibt viele Parallelen. Ich habe noch nie eine Idee aufgenommen, die es nicht auf's Album geschafft hat. Wenn ich mich ans Klavier hocke und irgendetwas spiele, hat das einen Sinn. Für mich ist Komponieren eigentlich weniger die Idee am Anfang, sondern eher das, was man daraus macht. Jede Idee, die aus meinem Unterbewusstsein auf's Klavier gespielt wird, hat irgendeinen Grund. Es ist auf eine gewisse Art göttlich. Da ist irgendetwas in meiner Festplatte drin, was genau diese Töne will und dann geht es darum die festzuhalten. Mein Ansatz ist, es ohne Kritik umzusetzen.
Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.