Jazz-Musiker Benny Golson im Alter von 95 Jahren gestorben
Zu Benny Golsons erfolgreichsten Kompositionen gehören "Killer Joe" und "Whisper Not". Jetzt ist der Saxofonist und Komponist im Alter von 95 Jahren gestorben.
Mit dem am 21. September in New York gestorbenen Benny Golson ist der vorletzte Musiker aus dem ikonischen Bild "A Great Day in Harlem" verschwunden, jener Fotographie, auf der Art Kane 1958 das Who is Who der Jazzwelt ablichtete. Golsons Saxofonkollege Sonny Rollins trägt nun allein den Titel des "letzten Jazzmusikers der klassischen Ära". Die mittleren 1950er bis frühen 1960er Jahre waren eines der fruchtbarsten Jazzjahrzehnte, mit Meilensteinen wie Miles Davis' "Kind of Blue", John Coltranes "Giant Steps", Ornette Colemans "Free Jazz", geprägt vom Hardbop, der mit einem Mix aus den harmonisch-kompositorischen Errungenschaften des eher abendländisch geprägten Cool Jazz und dem Drive und Blues der vorangegangenen afro-amerikanischen Bebop-Zeit, den neuen Jazz auf Touren brachte.
"Jeder Federstrich von ihm ist ein Klassiker"
Benny Golson war der Prophet dieser neuen Musik, ihr Architekt und Interpret. Er spielte mit allen Jazzgrößen der Zeit, arrangierte für Art Blakey's Jazz Messengers den Soundtrack einer ganzen Epoche. "Jeder Federstrich von ihm ist ein Klassiker", sagt Golsons ehemaliges Bandmitglied, der Trompeter Eddie Henderson, dazu.
Am 25. Januar 1929 in Philadelphia geboren, bestand Benny Golsons musikalische Peer Group aus späteren Jazzgrößen wie den Heath Brothers, Schlagzeuger Philly Joe Jones und seinem Freund und Saxofonkollegen John Coltrane – allesamt strahlende Blüten der kraftvollen Philly-Jazzszene. Nach College und Universitätsstudium konnte sich Golson beim Pianisten Tadd Dameron, den er als seinen wichtigsten Einfluss angab, sowie bei Lionel Hampton und Dizzy Gillespie ein Standing als Solist, Arrangeur und Komponist erarbeiten.
Das Album "Moanin'" - Meilenstein des Hardbop
Nur ein Jahr lang war er danach als musikalischer Direktor und Saxofonist bei den stilbildenden Jazz Messengers. Das alleine reichte, um die Band voranzubringen und 1958 mit dem Album "Moanin'" einen Meilenstein des Hardbop zu erschaffen.
Drei Titel daraus, "Along Came Betty", "Blues March" und "Are You Real" sind, wie viele weitere Golson-Titel, zu Standards geworden. Golson-Kompositionen verbinden in einzigartiger Weise sangliche Eloquenz mit harmonischer Komplexität. Da gibt es klassisch Boppiges wie "Stablemates" über das Hinterzimmer eines gleichnamigen Clubs, Bluesig-Grooviges wie "Whisper Not", Modales wie "KillerJoe", harmonisch Hochkomplexes wie "Along Came Betty" über ein Date mit einer gleichnamigen jungen Dame, wundervoll Sentimentales wie "I Remember Clifford" über den Unfalltod des Trompeters Clifford Brown. Dazu gesellte sich Golsons dunkler, summender Ton auf dem Saxofon, stets umweht von einem melancholisch-lyrischen Schatten.
"Ich habe einfach eine Liebesaffäre mit Melodien", sagte Golson 2007 dem Journalisten Shaun Brady. "Meiner Meinung nach sollte meine Musik immer, damals wie jetzt, einen sinnvollen melodischen Inhalt haben, etwas, zu dem du mitsummen kannst." - das aber über hochkomplexe und ausgefuchste Harmoniefolgen, auch Ergebnis von Golsons immer präsentem Weiterbildungswillen.
Benny Golson in Hollywood
Nach dem Erfolg mit den Jazz Messengers setzte er seine Ideen im gemeinsam mit dem Trompeter Art Farmer geführten Jazztet fort und ging dann, in kluger Früherkenntnis der sich verändernden Verhältnisse im Jazz, 1962 als Filmmusikkomponist nach Hollywood. Als einer der wenigen Afro-Amerikaner konnte er sich dort erfolgreich als Komponist für TV-Serien wie "M.A.S.H.", "Mannix" oder "Mission: Impossible" etablieren. Sein Instrument rührte er kaum noch an.
"Ich wollte nicht mehr als Jazzmusiker gesehen werden. Ich wollte Komödien und Dramen machen, nicht nur 'hippe Jazzsachen'. Also lehnte ich jeden Gig ab, und irgendwann rief keiner mehr an. Das Comeback fühlte sich an, als ob man einen Schlaganfall überwinden würde. Ich war nicht mehr derselbe, meine Konzepte hatten sich verändert, ich brauchte zehn Jahre um mich wieder mit mir wohlzufühlen", so Benny Golson.
Rückkehr zum Jazz
1982 kehrten Golson und Art Farmer mit einer neuen Jazztet-Ausgabe auf die Bühne zurück. Nach Farmers Tod gründete Golson 1999 eine dritte Version: das New'tet. Alles Grüße aus einer großen Zeit des Jazz. 1994 erhielt Golson die Guggenheim Fellowship, zwei Jahre später die höchste US-Jazzauszeichnung, den NEA Jazz Master Award. Einen bescheidenen, aber signifikanten Auftritt hatte er als Protagonist seiner selbst im Steven Spielberg-Film "The Terminal" 2004 an der Seite von Tom Hanks.
Völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit lebte Golson lange Zeit im beschaulichen Friedrichshafen am Bodensee. Nicht einmal sein ehemaliger Pianist Peter Madsen auf der anderen Seite des Sees in Bregenz wusste davon. Vor einigen Jahren kehrte der Saxofonist wegen einer Erkrankung seiner Frau in die USA zurück. Nach kurzer Krankheit ist er nun am 21. September in seiner Wohnung in Manhattan verstorben, teilte sein langjähriger Agent und Manager Jason Franklin mit.
Benny Golson 2019 auf dem Elbjazz Festival
Der Jazzwelt wird Benny Golson als Komponist einer besonders fruchtbaren Jazzepoche in Erinnerung bleiben, dem Hamburger Publikum speziell vielleicht auch durch seinen Auftritt im Jahr 2019, beim Festival Elbjazz. Nachzuhören in Aufnahmen des NDR, die auf CD erschienen sind. Der Ton des damals 90-Jährigen war zwar schon etwas dünn und wackelig geworden, Benny Golsons Geschichten aber waren nach wie vor dicht und stark. Sie waren das Echo einer der innovativsten Zeiten des Jazz, die auch viele Türen für den Jazz der Gegenwart geöffnet hat.