Jazz, Kammermusik und persische Poesie - Cymin Samawatie
Cymin Samawatie zählt zu den spannendsten Künstlerinnen der deutschen Jazzszene, wobei man ihr mit keiner Kategorisierung gerecht wird. Sie selbst hält von Schubladen wenig.
Studiert hat die gebürtige Braunschweigerin Cymin Samawatie Klassik und Jazz, ihr vielgelobtes Quartett Cyminology und ihr Trickster Orchestra spielen mit beiden Genres und fügen diesen bisher kaum oder gänzlich ungehörte Klangdimensionen hinzu: Persische Poesie trifft auf westliche Kammermusik, Jazz auf orientalische Harmonik. So entsteht eine unverwechselbare, transtraditionelle Musiksprache. Für ihr Duokonzert bei NDR Kultur EXTRA im Mai 2023 hat Cymin Samawatie den Berliner Bassklarinettisten Milian Vogel und ein wenig Elektronik mitgebracht, sie selbst sang, rezitierte und spielte Klavier.
Mir kommt es so vor, als ob du in ganz vielen Schubladen unterwegs bist. In der einen steckt viel Jazz drin, viel improvisierte Musik und viel Freies. In der anderen Schublade ist zum Beispiel eher westliche Klassik drin, neue Musik, auch die ganze Musiktheorie und Kompositionstechnik. Dann ist da noch eine Schublade mit ganz anderen Einflüssen - Einflüssen deiner Eltern zum Beispiel, die aus dem Iran kommen, also persische Lyrik. Wenn man das alles zusammenbaut, dann entsteht etwas Neues, etwas bislang noch nicht Gehörtes. Hast du dir deine Schublade selbst geschaffen?
Cymin Samawatie: Wahrscheinlich ist sie jetzt selbst geschaffen. Du hast das gerade ganz schön beschrieben mit diesen ganz vielen unterschiedlichen Schubladen. Ich habe mich quasi immer mal wieder in ganz unterschiedliche Schubladen hineinbegeben, um vielleicht auch zu merken, dass ich in keine so richtig rein passe. Dann ist aus der Mischung von diesen vielen Schubladen eine ganz eigene entstanden.
Milian, wie habt ihr beiden euch kennengelernt?
Milian Vogel: Wir wollten uns auf der Zugfahrt hierher eine spannende Geschichte ausdenken, aber die Wahrheit ist, dass wir uns an der Uni kennengelernt haben, beim Jazzstudium vor mehr als 20 Jahren.
Samawatie: Wir haben gemeinsam begonnen in Berlin zu studieren.
Vogel: Da waren die Haare noch nicht grau.
Samawatie: Meine Haare sind auch immer noch nicht grau.
Wenn du, Cymin, diese persischen Gedichte liest, dann stellst du dir wahrscheinlich auch schon Musik zu dieser Sprache im Kopf vor. Was für einen musikalischen Raum bietet sie?
Samawatie: Das Schöne ist tatsächlich, dass ich mich gerne von den Musikern inspirieren lasse, zum Beispiel wenn Milian einfach drauf los spielt, ohne zu wissen, was der Text bedeutet. Ich hoffe immer und wünsche mir, dass ich das Gefühl des Gedichtes transportieren kann, ohne dass er den Text wortwörtlich versteht und er wieder etwas zu mir zurücktransportiert. So entsteht wieder eine neue Ebene. Wir transportieren die ganze Zeit irgendwelche Emotionen hin und her und dann entsteht immer wieder etwas Neues. Dadurch entstehen Höhepunkte und die magischen Momente. Mal ist es auch so, dass er mich nicht so ganz verstanden hat. Es ist wie ein Gespräch, was man führt. Manchmal fühlt man sich nicht verstanden oder redet aneinander vorbei und manchmal gibt es Momente, wo man denkt, genau so fühlt sich das an, genau das habe ich gerade gedacht.
Milian, wie ist das für dich? Es ist klar, dass du nicht plötzlich schlagartig alle Texte verstehst. Arbeitest du eher mit einer gewissen Nachahmung? Wie ist deine Herangehensweise an das Musizieren im Duo?
Vogel: Es ist wirklich sehr viel intuitiv, muss ich sagen. Wenn sie es jetzt auf Deutsch singen würde, würde ich, glaube ich, auch mal den Text durchgehen. Wenn ich im Musizieren bin, bin ich nicht sehr auf den Text fokussiert, sondern würde tatsächlich all das Drumherum spüren und damit arbeiten und gar nicht so sehr textvertonerisch denken. Das ist für mich gar nicht ungewohnt, dass es jetzt Persisch ist und ich sowieso kein Wort verstehe. Das passiert wirklich auf einer anderen Ebene. Und wie Cymin schon sagte, es berührt sich, auch wenn sich mal was konträr gegenübersteht. Es macht was mit dem Ausdruck und mit dem Moment. Mit dem Wissen kann man selbstbewusst rangehen und sagen, es entsteht sowieso immer ein Inhalt.
Ich möchte dich, Cymin, noch auf einen Begriff ansprechen, nämlich den der Transtraditionellen Musik. Kannst du beschreiben, um was es sich dabei handelt?
Samawatie: Wir lernen alle bestimmte Traditionen. Jedes Land und jede Kultur hat eine Tradition. Die Zwölftonmusik ist genauso eine Tradition wie Barock. Wir benutzen in Deutschland leider noch das Wort Weltmusik, was sehr problematisch ist, denn das ist ein Genre für sich. Das ist quasi dieses eurozentrische Denken: Es gibt die europäische klassische Musik, die in Epochen aufgeteilt ist und dann gibt es noch die Weltmusik. Das hat mir nicht gefallen, auch weil ich selber immer so belabelt wurde, sogar mit meiner Jazzband "Cyminology". Wenn wir in irgendwelchen Jazzclubs gespielt haben, dann ging es immer gleich um World-Jazz, oder Ethno-Jazz und ich dachte, was ist das denn? Ich wurde schon so häufig mit Labels betitelt, die mir nicht immer gefallen haben, die ich aber akzeptiert habe, weil ich dachte, die Leute brauchen das, warum auch immer. Ich brauche es eigentlich nicht und möchte mich davon befreien. Deswegen bin ich damals nach meinem Klassikstudium bewusst von Hannover weggezogen, damit dieses Label Klassik von meiner Stirn weggeht. Dieser Begriff der Transtraditionellen Musik hat mir ganz gut gefallen, der gibt eine Offenheit. Alle Menschen lernen Traditionen, die gibt es in allen Kulturen. Mich interessiert aber gar nicht die Tradition, ich möchte nicht noch eine lernen, sondern darüber hinaus das Transtraditionelle. Ich will mich mit Menschen verbinden, die verschiedene Traditionen haben und dann interessiert mich, wie klingt das eigentlich? Was ist das Transtraditionelle und wie finden wir das?
Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.