Der Sound der Rebellion: Protest und Widerstand im Jazz
Warum singt der gefangene Vogel, fragte sich die afroamerikanische Lyrikerin Maya Angelou, deren Text die Jazzsängerin Abbey Lincoln vertont hat. Jazz und Swing spielten eine bedeutende Rolle in Protestbewegungen - in den USA ebenso wie in Nazi-Deutschland.
"Backwater Blues" von 1927, gesungen von Bessie Smith, ist so ein Song. Es geht um die große Flut in New Orleans: Die tieferliegenden Stadtviertel, in denen die arme schwarze, musikalisch aber hoch talentierte Bevölkerung lebte, waren schlecht vor Hochwasser geschützt. Der Blues und frühe Jazz klagte an und gab gleichzeitig Kraft. Von der die deutsche Jazzmusikerin Angelika Niescier heute ganz bewusst zehrt.
"Unsere Musik hat schwarze Wurzeln und das ist sehr wichtig, sich das immer wieder klarzumachen und das in die heutige Zeit zu transportieren. Sich klarzumachen: Ich bin hier, weil die Schwarzen Heldinnen und Helden diese Musik entwickelt haben und letzten Endes geschenkt haben", sagt Niescier, die in diesem Jahr mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet wurde.
"Geschichte der kollektiven schwarzen Erfahrungen"
"Jazz ist so etwas wie das Erzählen der Geschichte der kollektiven schwarzen Erfahrungen", meint Forscher Harald Kisiedu. Von den Baumwollfeldern und dem Congo Square in New Orleans, wo Schwarze Menschen in der spanischen Kolonialzeit nur sonntags Musik machen durften, bis in die Clubs.
Louis Armstrong hatte im Jugendgefängnis von New Orleans Kornett gelernt und prägte die junge Musikform mit seinem individuellen, freien Stil. Über die Struktur der Songs wurde meisterlich improvisiert, allein oder auch mit dem ganzen Ensemble.
Deutsche Swing-Jugend: Widerstand gegen die Nazis
In Deutschland spielte der Jazz mit seinen freien Klängen und seiner unbezähmbar swingenden Rhythmik eine besondere Rolle im Widerstand gegen die Nazis. Die Saxofonistin Corinna Danzer hat aus der Geschichte der Swing-Jugend ein Stück für heutige Schulen entwickelt - als politisch-musikalische Bildung.
Denn Swing-Musik, das war auch eine Art Geheimcode: Widerständige, die sich von der HJ absetzen wollten, erkannten sich an der Melodie. "Die Swing-Kids hatten sich an dem Song "Harlem" orientiert. Den haben sie gepfiffen. Wenn der andere zurückgepfiffen hat, wusste man, das ist auch einer."
Wie ein Vogel im Bergwerk: Jazz spürt dünne Luft
1939 kämpften in den USA viele Musikerinnen und Musiker gegen Rassismus: Billie Holiday griff "Strange Fruit", den Song eines jüdischen Lehrers, auf, der zum Symbol des Protestes gegen Lynchmorde wurde.
Der Kampf um Menschenrechte und Freiheit zog sich immer auch durch die Musikgeschichte. Wie ein Vogel im Bergwerk spürte der Jazz auf, wo die Luft dünn wurde für gesellschaftliche Randgruppen: Abbey Lincoln vertonte Maya Angelos "I know why the caged bird sings" und brachte gemeinsam mit Max Roach 1963 ein ganzes Protestalbum heraus: "We Insist! - Freedom Now Suite".
"I wish I knew how it would feel to be free", von Billie Taylor, gesungen von Nina Simone wurde zur Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und Keimzelle des Soul. Trompeter Hugh Masekela drückte 1986 in seinem Song "Bring Him Back Home" seinen Wunsch aus, der vom Apartheid-Regime inhaftierte Nelson Mandela möge endlich in die Freiheit entlassen werden.
Kraftvolles Freiheitspotenzial
Ob Free Jazz in der DDR, die heute blühende Jazzszene in Südkorea oder die Musik, die die "Black Lives Matter"-Bewegung begleitet, mit der Aussage: "We're making gold from pain" - das kraftvolle Freiheitspotenzial des Jazz zeigt sich entweder explizit in Texten oder im klanglich offenen kreativen Ausdruck - und ist zugleich eine Art Auftrag für heutige Jazzmusikerinnen und -musiker, meint Schlagzeugerin Eva Klesse, Professorin in Hannover:
"Ich glaube nicht, dass wir es als Jazzmusiker*innen leisten können, in jeglicher Hinsicht Vorbild zu sein, aber ich denke schon, dass es essenziell ist, sich als Jazzmusiker*in für gesellschaftlich relevante Themen zu interessieren. Jazz war schon immer eine politische Musik. Jazz war schon immer eine Musik, die auf Missstände hingewiesen hat, die sich mit Ungerechtigkeiten auseinandergesetzt hat", sagt Klesse und fügt hinzu: "Ohne uns überhöhen zu wollen, dass wir jetzt alles beeinflussen können. Aber ich denke schon, dass wir das Augenmerk auf die Ungerechtigkeiten dieser Zeit richten können und auch sollten."
Wer zum Thema weiterlesen möchte: Im Frühjahr ist das Buch "The Sound of Rebellion - zur politischen Ästhetik des Jazz" im Reclam Verlag erschienen.