Spotify: Viele Fake-Artists in den Playlisten
Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen, dass auf Playlisten Fake-Artists millionenfach gestreamt werden. Das kostet echten Künstlerinnen und Künstlern viel Geld.
Die Spotify-Playlist "Peaceful Piano" ist sehr beliebt. Die sanfte Klaviermusik läuft etwa während man im Café sitzt oder im Wartezimmer einer Arztpraxis. Der Song "La Vie" wurde über 13 Millionen Mal gehört. Er ist scheinbar das Werk einer jungen Künstlerin namens Amandine Moulin. Auf ihrem Profilbild auf Spotify sieht man eine brünette Frau von hinten. Laut Biografie ist sie eine klassisch ausgebildete Pianistin aus Paris, die 2019 entschieden hat, ihre Songs selbst zu schreiben. Die Musik reflektiere ihre Persönlichkeit.
Hinter Amandine Moulin steckt ein Mann
Es gibt nur ein Problem mit Amandine Moulin: Sie existiert nicht. Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen: Das Foto der jungen Frau ist ein Stockfoto, man darf es kostenlos verwenden. Es wird noch mysteriöser. Die Suche in der ASCAP-Datenbank, einer Datenbank für Musikrechte, ergibt, dass hinter der angeblichen Pianistin Amandine Moulin keine Frau aus Paris steckt, sondern ein Mann in Schweden.
Fake-Artists tauchen massenhaft in den Playlisten auf
"Amandine Moulin" ist sein Pseudonym. Und nicht sein einziges: Über 100 weitere Namen können dem Mann in Schweden zugeordnet werden können. Spotify hat einige davon als "verifizierte Artists" gelistet, ihnen also einen blauen Haken neben das Profilbild gesetzt. Die Kurz-Biografien der Künstler sind ziemlich detailliert. Tom Kalani - ein Musiker soll hawaiianische Wurzeln haben und sehr mit der Natur verbunden sein. Milo Edale - ein angeblicher Ire mit deutscher Mutter.
Alles scheint, als ob es sich um echte Personen handelt. "Mir wurde klar, wie absurd das alles ist, als ich die Beschreibung eines Künstlers gelesen habe, der als klassisch ausgebildeter Musiker aus Island dargestellt wird. Und seine Musik bis vor Kurzem nur auf Kassetten veröffentlicht hatte. Alles daran war so exklusiv", sagt der Journalist Linus Larsson, Reporter bei der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter. Er nennt diese Musiker Fake-Artists.
Mehr als 60 Prozent der Peaceful-Piano-Playlist stammt von Fake-Künstlern
Die Peaceful-Piano-Playlist umfasst rund 300 Songs. Ende vergangenen Jahres - das ergibt eine BR Analyse - waren mehr als 60 Prozent der Songs auf dieser Playliste "Geistermusik". Viele dieser Fake-Artist sind mit kleinen Labels verbunden. Eines davon: Firefly Entertainment. Es kommt aus Schweden - wie Spotify auch. "Einer der Gründer von Firefly hat eine persönliche Beziehung zu einem ehemaligen Spotify-Manager, der noch dazu das gesamte Konzept der Playlisten entwickelt hat", sagt Linus Larsson. "Niemand kann behaupten, dass es keine Beziehung zwischen diesen Personen gab."
BR-Recherchen deuten darauf hin, dass pro Stream eine geringere Ausschüttung für Geistermusik ausgezahlt wird. Im Gegenzug sollen die Songs von Spotify wohl regelmäßig in deren reichweitenstarken Playlisten platziert werden. "Man kann sich bei uns in keiner Playlist einkaufen und Playlisten werden komplett unabhängig kuratiert. Das kann ich auf jeden Fall betonen", sagt Conny Zhang, die für den deutschsprachigen Raum zuständige Head of Music von Spotify.
Label und Geistermusiker halten sich bedeckt
Es gibt rund 1.500 von Spotify kuratierte Playlisten - auf mehreren davon finden sich Songs von "Geistern" wie Amandine Moulin. Das schwedische Label "Firefly Entertainment" beantwortet Fragen dazu nicht. Und auch kein Geistermusiker, wie der Mann in Schweden, der hinter zahlreichen Spotify-Profilen steht, möchte mit dem BR sprechen. Es ist nicht abschließend geklärt, welche Verbindungen es zwischen den kleinen Labels und Spotify gibt. Klar ist: Geistermusikerinnen und -musiker werden millionenfach gestreamt, veröffentlichen neue Musik am laufenden Band und werden damit auch zum Problem.
Ungleiche Verteilung: Musik-Streaming macht die Künstler arm
Wenn hohe Summen für Geistermusik ausgeschüttet werden, fehlt dieses Geld an anderer Stelle: Bei Künstlern, die aufwendig Musik komponieren. Denn nach dem aktuellen Bezahlsystem, dem sogenannten "Pro-Rata-Modell", gehen Streaming-Gelder nicht direkt an die Künstlerinnen und Künstler, die der einzelne Nutzer hört. Sondern es fließt in einen großen Gesamtpool, der dann an alle Artists auf Spotify verteilt wird - je nachdem, wie groß ihr Anteil an allen Streams ist.
Die Sängerin Balbina macht sich seit Jahren für eine faire Verteilung stark, da viele Künstlerinnen und Künstler von Streaming alleine nicht leben könnten. Sie kritisiert: "Der Verteilungsschlüssel besagt: Je häufiger etwas gehört wird, umso mehr wird es wert." Balbina fordert deshalb ein neues Vergütungsmodell. Mit ihren Forderungen war sie schon im Bundestag.
Politik muss Musikstreaming neu regeln
Die Bundesregierung gab im vergangenen Jahr eine Streaming-Studie in Auftrag, die sich mit der Verteilungsproblematik wissenschaftlich auseinandersetzen soll. Für Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, geht es im ersten Schritt darum, ein fundiertes Bild über die Verteilung der Streamingeinnahmen zu erlangen. In einem zweiten Schritt müsse dann über mögliche Lösungen diskutiert werden: "Es geht wirklich um die Verteilung und die muss gerecht sein", sagt Grundl im BR-Interview. Erste Ergebnisse der Streaming-Studie werden für Ende des Jahres erwartet. Das britische Unterhaus führte bereits 2021 eine umfassende Untersuchung zum Thema durch. Das Fazit: "Streaming needs a complete reset." Streaming brauche einen kompletten Neustart.