Klavier Sirius 6.0: Der Flügel mit extra schmaler Klaviatur
Der Konzertflügel Sirius 6.0 ist ein Projekt der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Künste Stuttgart und hat eine extra schmale Klaviatur - für Menschen mit kleineren Händen.
Ein paar Millimeter könnten bald die Klavierwelt in Europa revolutionieren: Seit 2020 steht in der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart der Flügel Sirius 6.0. Ein Instrument mit schmaleren Tasten als eine Normtastatur - und damit ein Pionier-Projekt der Stuttgarter Musikhochschule. Alle Studierenden dürfen darauf üben - und berichten von ungeahnten Übe-Erfolgen auf dem Instrument - darunter auch Yu Tashiro: "Man hat am Anfang einen sehr großen flash-artigen Moment, sodass man denkt: "ow, was passiert da gerade? Und den kann man immer wieder erleben", erzählt Tashiro begeistert. Ein paar Minuten muss sich der Pianist auf den Flügel mit den schmaleren Tasten einstellen. Aber dann geht plötzlich vieles leichter.
Weniger breit, weniger schmerzhaft, größere Farbpalette
Yu Tashiro studiert im Master Klavier in Stuttgart. Auf Sirius 6.0, wie der Flügel liebevoll genannt wird, übt er bereits seit drei Jahren. Darüber berichtet er: "Man hat eine größere Farbpalette. Zum Beispiel das Balancieren von Stimmen, also Oberstimme zur Bassstimme zum Beispiel, das funktioniert viel stimmiger. Man hat manchmal einfach weniger Spannung im Handrücken, das heißt, man muss seine Hand nicht mehr so dehnen bei manchen Stellen. Und man hat auch weniger Schmerzen." Der Grund: Der Flügel ist pro Oktave zwölf Millimeter schmaler als die Normklaviatur. Das entspricht einer halben Taste pro Oktave. Damit ist eine Oktave sechs Inches breit, daher kommt der Name.
Weniger Wettbewerbsnachteile für Pianistinnen
Hinter der Sirius-Initiative stehen Lehrende und Studierende der Klavierabteilung in Stuttgart, unter der Leitung von Ulrike Wohlwender. Der Flügel in Stuttgart war der erste mit dieser Mensur an einer europäischen Musikhochschule, inzwischen aber nicht mehr der einzige. Gerade Spieler*innen mit kleineren Hand-Spannweiten haben es auf der schmaleren Tastatur leichter. Zum Beispiel bei weiten Griffen mit vielen Tönen.
Insbesondere Frauen profitieren davon, erzählt die Klavierprofessorin Ulrike Wohlwender: "Der Mittelwert bei der Spannweite Eins-Fünf, also die Spreizung von Daumen bis zum kleinen Finger, dieser Mittelwert ist bei Frauen 2,1 Zentimeter geringer als bei Männern. Fast eine ganze Taste! Und es schlägt sich dann eben in Anstrengung nieder oder in Repertoireauswahl, dass man eben bestimmte Stücke nicht spielen kann, oder auch in Überanstrengungssyndromen. Und nicht zuletzt in Wettbewerbserfolgen. Große internationale Wettbewerbe werden viel, viel häufiger von Männern gewonnen als von Frauen."
Modell soll Standard in großen Konzertsälen werden
Auch Yu Tashiro kann ein bestimmtes Repertoire wesentlich besser auf dem Sirius-Flügel erarbeiten: "Chopin op. 10, Nr. 1, eine Etüde. Oder Schubert Erlkönig, ist auch so eine Sache - weil man einfach ergiebiger üben kann darauf. Dort, wo ich auf dem Normflügel ein paar Pausen einlegen muss, damit ich meinem Körper nicht schade, da kann ich auf Sirius noch die letzte Meile machen, in den Übe-Sessions."
Ulrike Wohlwender hofft, dass der Flügel perspektivisch spielbedingten Überlastungssyndromen vorbeugt und Pianist*innen ihr künstlerisches Potenzial besser entfalten können. An der Musikhochschule in Stuttgart wird dafür gerade eine Wechselklaviatur für den Konzertflügel angeschafft: eine Tastatur, die innerhalb von Minuten ausgetauscht werden kann. Die Initiative Sirius 6.0 wünscht sich, dass das ein Modell für die großen Konzertsäle wird - und damit auch auf den norddeutschen Bühnen Standard.