Funde im Watt: Handelt es sich um die Kirche von Rungholt?
Der Ort Rungholt soll bei einer Sturmflut im Mittelalter in der Nordsee versunken sein - Stoff für viele Legenden. Das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein meldete vergangene Woche, es sei gelungen, den Ort zu lokalisieren. Was spricht dafür, dass die gefundenen Überreste von der Rungholter Kirche stammen?
Wenn der Geophysiker Dennis Wilken von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel auf Forschungstour im Watt unterwegs ist, dann hat er meist ein ungewöhnliches und großes Messgerät dabei - eine Art Metallgestänge auf zwei Rädern, das ein bisschen an einen Pflug erinnert. Das Gestell ist gespickt mit hochempfindlichen Sensoren, mit denen er oberflächennahe Objekte im Wattboden wie auf einer Karte sichtbar machen kann. "Da tauchte sie dann zuerst auf! Man muss sich erstmal kneifen, aber das geophysikalische Messbild, das war schon eindeutig", sagt der Forscher.
Was Dennis Wilken auf dem Bildschirm seines Messgerätes im Wattboden zwischen Nordstrand und Pellworm sah, war der Grundriss einer Kirche. Und zwar genau in dem Bereich, in dem nach bisherigen Erkenntnissen vor fast 700 Jahren das legendäre Rungholt bei einer gewaltigen Sturmflut im Meer versunken sein soll. "Man ist dann immer noch ein bisschen ungläubig, weil ja schon so viele danach gesucht haben", schildert er. "Aber dann war die Freude natürlich groß."
Kirchen-Fundament stammt vermutlich aus dem 13. Jahrhundert
Nur wenige in Orte in Norddeutschland sind so sagenumwoben wie Rungholt, das bei einer gewaltigen Sturmflut im Mittelalter in der Nordsee versunken sein soll. Manche verglichen es schon mit dem alten Rom. Andere vermuteten dort sogar das geheimnisvolle Atlantis. Sicher ist, dass seit über 100 Jahren nach den Überresten der Siedlung im nordfriesischen Wattenmeer gesucht wird. Sollte diese Suche nun erfolgreich sein?
Der Archäologe Dr. Bente Sven Majchczack war von dem Fund elektrisiert: "Wir haben einen streng rechteckigen Kasten auf der Westseite. Man sieht die eckige Grundmauer im Grunde des Turms, wie das bei den Kirchen in Nordfriesland aus dem Mittelalter so ist. Und auf der Ostseite haben wir eine schöne, abgerundete Apsis", schildert er. "Man guckt drauf und sieht sofort: Wir haben hier etwas, das zu einer mittelalterlichen Kirche gehört. Und zwar nicht zu so einer kleinen Dorfkirche, sondern zu einer von den wirklich größeren!" Auch die Größe, etwa 40 Meter lang und fast 15 Meter breit, spreche für das 13. Jahrhundert.
Ebbe und Flut lassen wenig Zeit zum Graben
Die Forscherinnen und Forscher fingen an zu graben. Was im Wattenmeer besonders schwierig ist, weil Ebbe und Flut nur wenig Zeit zum Buddeln lassen. Trotzdem wurden sie fündig. "Wir haben eine ganze Reihe von Ziegelsteinen gefunden. Es scheint sich um eine Ziegelkirche zu handeln", erklärt Majchczack. Einfache Wohnhäuser wurden in dieser Zeit vor allem aus Holz gebaut. Auch deshalb waren sich die Forschenden sicher, dass sie etwas ganz Besonderes gefunden haben. Vergleichbare Kirchen stehen heute noch in Keitum auf Sylt oder in Breklum bei Bredstedt. "Es wäre möglich, dass es so ähnlich ist wie bei der alten Kirche von Pellworm", erklärt der Archäologe. "Da ist der Turm sehr breit, so breit wie das Kirchenschiff."
Wie genau die Kirche ausgesehen habe, das können sie nur vermuten. "Wir haben noch keine festen Mauern ausgegraben, aber wir haben diesen festen Untergrund, den man vorbereitet hat, um dieses Gebäude darauf zu errichten", sagt Majchczack. Vieles spricht dafür, dass es sich tatsächlich um das Gotteshaus von Rungholt handelt, betont Bente Sven Majchczack. "Die Größe des Gebäudes legt nahe, dass wir hier einen Hauptort dieses mittelalterlichen Verwaltungsbezirks haben, wo das alles zugehört hat. Dann sind wir im Grunde bei der Einschätzung, dass es sich um Rungholt als herausgehobenen Ort handelt."
Viele Indizien, aber keine Sicherheit
Wirklich komplett sei das Rungholt-Puzzle mit dem Kirchenfund aber noch nicht, räumt Bente Sven Majchczack ein. Bislang haben die Forschenden nur einen kleinen Teil des Gebietes untersucht, den die große Flut 1362 verwüstet hatte. "Da wird sich noch viel verbergen! Es gibt noch so viele Ortschaften, die damals untergegangen sind", sagt Majchczack. Die Kirche soll nun im Sommer noch einmal ganz genau kartiert werden. Im nächsten Jahr wollen die Forscherinnen und Forscher mit umfangreicheren Ausgrabungen beginnen.