Wolfgang Rieck: Er macht Ernst Barlachs Skulpturen zu Musik
Der Liedermacher Wolfgang Rieck ist durch das Werk des Bildhauers Ernst Barlach immer wieder zu Songs inspiriert worden, auch auf Plattdeutsch. Ein Treffen in Barlachs Atelier in Güstrow.
Draußen im üppigen Grün: die Meisen beim Nestbau. Drinnen, hinter Backsteinen, bricht Sonnenlicht durch die Fenster des Atelierhauses der Ernst-Barlach-Stiftung in Güstrow, wandert in Streifen über Plastiken und Skulpturen. Wer genau aufs Nussbaumholz schaut, sieht, wo Barlach das Stemmeisen ins Holz getrieben hat. Eine Figur kniet zurückgelehnt auf dem Boden, hat den Mund halb offen, ist rund und voller Wärme, wie es scheint. Es ist "Die Lachende Alte".
Aus "Die Lachende Alte" wird der Song "De quietschfidele Oll"
"Das ist eine Frau, die mit beiden Beinen auf der Erde steht", erzählt Liedermacher Wolfgang Rieck. "Die hat es mir angetan und über sie habe ich ein Lied gemacht: 'De quietschfidele Oll'." Seit den 80er-Jahren sucht Rieck Geschichten hinter Barlach-Figuren, erst im Duo mit dem Musikerkollegen Joachim Piatkowski, dann allein.
Rieck gibt den Skulpturen und Plastiken eine Stimme, gibt ihnen auf einer neuen Ebene Charakter, Weisheit und Humor. "Der Humor in der Kunst, finde ich, ist das Wichtigste, was Bildhauer, aber überhaupt bildende Künstler, den Leuten offenbaren können", meint Rieck.
Ernst Barlach: Erst gefeiert, dann von den Nazis verfemt
Ernst Barlach wird 1870 geboren und stirbt 1938. Zunächst wird er als Künstler gefeiert, bekommt Aufträge für Denkmäler in Städten wie Kiel, Magdeburg und Hamburg. Für Güstrow und Köln erschafft er die Bronzeskulptur "Der Schwebende", die mehrmals gegossen wird. Doch als die Nationalsozialisten die Macht übernehmen, werden Barlachs Werke zu "entarteter Kunst". Sie werden aus Ausstellungen entfernt und sollen dem Vergessen anheimfallen.
Aus dieser Zeit stammt das Werk "Der Wanderer im Wind", eine lebensgroße Skulptur aus Holz. Sie zeigt einen Mann, der im Sturm stehen muss, leicht nach hinten gedrückt von der Wucht, den Hut mit der Hand haltend. "'Gägen denn Storm säuk ik mien Weg, so as de Meif in Harfst oewer See' - so fängt das Lied an, das ich für den 'Wanderer im Wind' geschrieben habe, so vor 15, 20 Jahren", erzählt Liedermacher Rieck.
Wolfgang Rieck: Neun Lieder zu Ernst Barlachs Skulpturen
Rieck, im ersten Leben Matrose, war unterwegs bis nach Indien und Kuba. Später thematisiert er als Sänger immer wieder die Schrecken des Krieges, auf Hoch- und Plattdeutsch. Auf seiner aktuellen CD "Geben und Nehmen" findet sich eine Interpretation des Tucholsky-Textes "Der Graben" in der Vertonung von Hanns Eisler. Ebenfalls auf dieser CD: "De quietschfidele Oll".
Neun Lieder hat Wolfgang Rieck insgesamt zu Barlach-Skulpturen geschrieben. Im Atelier in Güstrow steht in einer Mauernische 50 Zentimeter Lebensfreude: Die Skulptur hat einen Fuß gehoben, den Rock zum Reigen gelupft, es ist "Die tanzende Alte". "Diese Frau hat es mir auch angetan", so Rieck. "Un sei danzt un sei dreigt, un sei lacht in de Welt, höllt ehr Röck in de Hööcht, dat´s blots Freud, wat hüt tählt."
Ernst Barlach bietet noch viel Inspiration - und Wolfgang Rieck scheint sie zu suchen, wenn er die Ausstellung im Atelier ruhig abschreitet. Im Werkverzeichnis Barlachs sind 616 Arbeiten aufgeführt.