Neues Museumsangebot in Wismar: Führung für Menschen mit Demenz
Das stadtgeschichtliche Museum Schabbell in Wismar stellt sich in speziellen Führungen auf Menschen mit Demenzerkrankung ein. Im Vordergrund steht hier nicht das Wissen, sondern das Begreifen, Erinnern und Erleben.
Die Gruppe "Harmonie" stimmt den Klassiker "Ein Männlein steht im Walde" an. Was nach Singkreis klingt, ist Museumsarbeit der anderen Art. Die Besucher an diesem Nachmittag - sie sind alle an Demenz erkrankt - singen mit. Zeile um Zeile wird aus verschütteten Erinnerungen hervorgeholt und die Referentin der Stadt Wismar, Anni Steinhagen erklärt den Ort. "Das Schabbelhaus, in dem wir heute sind, ist eines der ältesten Gebäude in Wismar, das ist noch aus dem 16. Jahrhundert - Renaissance - hier im Ostseeraum eines der ältesten Häuser. Vielleicht waren Sie früher auch schon mal hier, vielleicht ist das heute auch Ihr erstes Mal hier."
Spielzeug aus Kinderzeiten anfassen und darüber sprechen
Steinhagen kümmert sich um interkulturelle Öffnung und Diversität im stadtgeschichtlichen Museum Schabbell in Wismar. Bei Menschen mit Demenzerkrankungen ist es gerade der Alltagsbezug, über den sich Erinnerungkultur pflegen lässt. Zwischen Kaffee und Kuchen wandern im Innenhof des Schabbellhauses ein kleiner Schwedenkopf - das ist ein Wahrzeichen der Hansestadt Wismar - und alte Spielzeuge durch die Hände der Besucher. Die kommen darüber ins Gespräch. Es geht um Wertschätzung und Teilhabe, betont Steinhagen: "Wir versuchen, auch diese Leute in das Geschehen mit einzubinden, also nicht nur als Publikum, sondern auch als Programm-Gestaltende."
Demenzerkrankung zu stark mit Scham behaftet
Britta Lindow brachte den Stein ins Rollen, entwickelte mit der Stadt diese Art der Führung. Selbst 80 Jahre alt, engagiert sie sich im Alzheimerverband. Ihr Mann war lange dement, sie hat ihn bis zum Schluss betreut. Wie Demenzkranke ins gesellschaftliche Leben einbezogen werden können, ist seitdem ihr Lebensthema. Mecklenburg-Vorpommern habe da Nachholbedarf, meint Britta Lindow. "Die Zuständigen bemühen sich, etwas auf die Beine zu stellen" freut sie sich. Es wäre zwar schön, wenn da noch mehr wäre, aber die Angebote würden auch oft nicht in Anspruch genommen, sagt Lindow. "Bei Angehörigen von Demenzkranken ist die Sache dann so mit Scham behaftet, dass die sich nicht mit ihren Betroffenen in die Öffentlichkeit trauen. Und dagegen müssen wir auch was tun."
Noch mehr partizipative Angebote im Schabbellhaus
Im Wismarer Schabbell-Haus ist in der Vergangenheit viel neu eingebaut worden: Rampen am Eingang, ein Treppenlift, ein sprechender Fahrstuhl - sie schaffen Barrierefreiheit. Doch wenn das Augenlicht schwach ist, die Erinnerung nachlässt oder Deutsch nicht Muttersprache ist, wird selbst ein Ausstellungstext zum Hindernis. Steinhagen möchte das Haus noch besser öffnen. "Da reicht nicht nur eine offene Tür, da muss es partizipative Angebote geben. Da muss es Weiterbildungen geben, auch für uns als Personal, um sehen welche Bedürfnisse die Menschen haben", erläutert sie.
Führungen in Wismar jetzt regelmäßig
Regelmäßig öffnet sich das Schabbell-Haus nun für Menschen mit Demenz. Außerdem wird das Museum zunehmend neu gedacht: Als Ort, an dem Menschen sich gegenseitig ihre Geschichte erzählen. Das reißt auch die Sprachbarrieren zwischen den Kulturkreisen ein. "Tell me your Story" heißt ein weiteres neues Format. Wismarer und Zugegezogene kommen dabei ins Gespräch, erläutert Anni Steinhagen. "Wir wollen uns offen gestalten und mehr Publikum natürlich generieren. Es ist wichtig, dass unsere Häuser ausgelastet sind. Wir wollen nicht immer nur über diese alte Geschichte reden, sondern auch über diese neue Geschichte, die überall in der Stadt passiert." Die will sie mehr ins Haus holen mit kostenlosen, museumspädagogisch begleiteten Führungen und Gesprächsrunden.