Schalenbauer von Binz: Gedenken an Ulrich Müther
Der Bauingenier etablierte den Schalenbau in der DDR und realisierte mehr als 70 der markanten Gebäude - in Binz, in Neubrandenburg, aber auch in Tripolis und Kuwait. Vor 90 Jahren kam Ulrich Müther auf Rügen zur Welt.
Sich selbst hat Ulrich Müther gern so beschrieben: "Wenn ich international gefragt wurde, ich war ja auf einigen Kongressen mit überwiegend Professoren, die sich mit Schalen befassten, dann habe ich ihm gesagt: Ich bin Landbaumeister in Binz auf Rügen."
Und dieser Landbaumeister aus Binz war schon während seines Fernstudiums an der TU Dresden begeistert vom Hyperbolischen Paraboloid, besser bekannt als Hyparschale, die er selbst immer wieder so bildhaft beschrieb: "Eine Schale muss gut gekrümmt sein und sie muss, wenn möglich, in dieser Ideallinie liegen." Man könne sich das als eine Kette vorstellen, an der Gewichte hingen. "Dann ergibt sich eine Kettenlinie und diese Kettenlinie ist an sich schon solch eine Ideallinie."
Internationale Strömung bereits seit den 1920er-Jahren
Ulrich Müther übergab sein Archiv 2006 der Hochschule Wismar. Das dortige Müther-Archiv leitet von Beginn an Matthias Ludwig. Der wir häufig gefragt, ob Müther den Schalenbau erfunden hat. Ganz so war es nicht, aber: "Er hat ihn in der DDR etabliert. Und ist natürlich auch der Ingenieur, der davon am meisten realisiert hat, also über 70 Bauten in Ostdeutschland und auch international", erklärt Matthias Ludwig. Die allgemeine Strömung habe allerdings schon in den 1920 ihre Anfänge gehabt.
Der Architekturprofessor sieht das Einmalige bei Ulrich Müther darin, dass Müther eine eigene Baufirma hatte. Denn das verschaffte ihm die Möglichkeit, die Bauten nicht nur zu entwerfen sondern auch zu realisieren. "Er hatte alle Stränge in der Hand und so hat er die Leistung geliefert, die er versprochen hatte." Das sei einer der Gründe für seinen Erfolg gewesen.
Planetarium in Wolfsburg war erster Müther-Bau im Westen
Mit dieser, seiner Firma konnte der Rüganer Anfang der 1980er-Jahre im niedersächsischen Wolfsburg ein Planetarium errichten. Damit war er wohl eine der ersten ostdeutschen Baufirmen, die im Westen gebaut hatten. "Wir haben dort praktisch unsere eigene Baustelleneinrichtung mitgenommen, unsere Maschinen mitgenommen. Und wir haben Nägel und Schrauben, Werkzeug, alles mit dabeigehabt", erinnerte er sich einst.
Nach der Deutschen Einheit wurde das 1972 in der DDR verstaatliche Unternehmen an den Bauingenieur rückübertragen. 1999 musste die Müther GmbH dann allerdings Konkurs anmelden. In jener Zeit hatten die von Ulrich Müther entworfenen Bauwerke nicht das Ansehen wie heute.
Die Anzahl der erhaltenen Gebäude überwiegt
"Zu den Bauwerken, die so ganz spurlos verschwunden sind, ohne dass wir überhaupt gefragt wurden, gehörte dieser eine Hauptrettungsturm im Binz am Strand. Vollkommen für uns unverständlich ist auch der Orchester-Pavillon in Ralswiek. Den gibt es auch nicht mehr. Und so besteht die ganz große Gefahr, dass das Ahornblatt Berlin in Kürze der Abrissbirne zum Opfer fällt", erklärte er damals.
Das Ahornblatt, eine Gaststätte auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte, wurde im Sommer 2000 abgerissen. Der Großteil der Müther-Bauwerke ist, darauf verweist Matthias Ludwig, bis heute aber erhalten geblieben. "Wir haben den Verlust von 24 Bauten, was in Anbetracht von 74 erhaltenen Bauten nicht so viel ist", sagt er. Zwar seien auch denkmalgeschützte Gebäude abgerissen worden, doch ohne Denkmalschutz gäbe es wahrscheinlich einen weit größeren Verlust.
Müther-Turm in Binz wurde zum Wahrzeichen des Seebades
Für den Leiter des Müther-Archivs in Wismar sticht bei den mehr als 70 Bauwerken, die mit dem Namen Ulrich Müther verbunden sind, nicht zuletzt die Rettungsstation der Strandwache in Binz heraus. Ursprünglich waren einmal vier Türme geplant, einer wurde 1993 für die neue Seebrücke in Binz geopfert und abgerissen – einer steht aber noch am Ostseestrand.
"Das ist auf jeden Fall architektonisch ein Unikat", sagt Ludwig. Denn üblicherweise hatte Müther Bauten in dieser hyperbolischen paraboliden Form gebaut. Bei dem Turm aber handelt es sich um eine frei geformte Schale, eine Buckelschale, die von diesem hyperbolischen Paraboloid abweicht. "Wenn man den jetzt auf einer Postkarte oder auf einem Foto sieht, dann weiß man eben, das ist ein Wahrzeichen auch von Binz", erklärt der Architekturprofessor.
Müther-Bauten erfahren nun große Wertschätzung
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Müther-Bauten saniert und übergeben worden, gerade erst im Juni die Hyparschale in Magdeburg, im vergangenen Jahr die Stadthalle in Neubrandenburg und 2022 die ehemalige Messehalle in Rostock-Schutow - gerade dieses inzwischen als Angelgeschäft genutzte Gebäude ist ein Prototyp, der allererste Bau des 2007 verstorbenen Ingenieurs Ulrich Müther - dem Landbaumeister aus Binz.