Antisemitismus in den Deichtorhallen: Wie weit reicht Kunstfreiheit?
Die Deichtorhallen in Hamburg zeigen ein Werk, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Das Ausstellungshaus distanziert sich nur halbherzig. Das reicht nicht, findet Daniel Kaiser. Ein Kommentar.
Wieder überschattet der Nahost-Konflikt eine Kulturveranstaltung. Diesmal geht es um ein Werk des Künstlerkollektivs "New Red Order" in der neuen Ausstellung "Survival in the 21st century" in den Hamburger Deichtorhallen. Auf einer Tafel neben dem eigentlichen Kunstwerk wird Israel die alleinige Schuld am Nahost-Konflikt gegeben und mit Nazi-Deutschland in eine Reihe gestellt. Bei der Planung der Ausstellung war diese Tafel noch nicht vorgesehen. Daneben haben die Deichtorhallen nun ein Schild aufgehängt, auf dem sich das Haus und die Kuratoren von der Aussage distanzieren.
Kunst oder eine antisemitische Verschwörungserzählung?
Die Deichtorhallen machen es sich ein bisschen leicht. Denn es ist nichts anderes als eine antisemitische Verschwörungserzählung, die da in der Ausstellung hängt. Der Massenmord an den Indigenen in den USA, die Shoa in Nazideutschland und die israelische Politik von heute seien strukturell alles dasselbe. Israel trage allein die Verantwortung für den Nahostkonflikt. Vom Hamas-Terror kein Wort. Von den iranischen Auslöschungsfantasien keine Silbe. Mit anderen Worten: Der Jude ist schuld.
Ich meine, es reicht nicht, einfach ein Schild danebenzuhängen: "Nicht unsere Meinung! Aber, sorry, es gilt die Kunstfreiheit!" Ich meine, dass Kunstfreiheit nicht heißt, dass das Künstlerkollektiv ein Recht darauf hätte, in den Deichtorhallen ausgestellt zu werden. Nachdem das Kunstwerk verändert und um die politische Aussage erweitert wurde, hätte man die Gruppe ausladen müssen. So viel Rückgrat muss sein.
Hätten die Deichtorhallen denn auch rechte Verschwörungstheorien hängen lassen, offenen Rassismus, das N-Wort, die Leugnung des Klimawandels - als Diskussionsanregung - und dann alles mit einem lässigen Kunstfreiheit" an sich abtropfen lassen? Mein Eindruck: Wenn es um Israel und die Juden geht, ist man besonders freigiebig mit der Kunstfreiheit.
Ein unerträglicher Vorgang
Es geht ja nicht um eine kritische Betrachtung israelischer Regierungspolitik, sondern um eine grundsätzliche Ablehnung des jüdischen Staats. Wenn in Deutschland Juden und der jüdische Staat dermaßen dämonisiert werden, ist das unerträglich, weil wir hier erlebt haben, was danach geschieht. In der internationalen Kunstszene mag man das in Teilen anders sehen. Für unser Zusammenleben hier darf das kein Maßstab sein.
In seinem Pamphlet problematisiert das Künstlerkollektiv "New Red Order" übrigens auch den Umgang der Deutschen mit Indigenen in der Kultur. Das heißt, die Western-Fantasy "Winnetou" wäre wohl ihrer Meinung nach nicht von der Kunstfreiheit gedeckt, ihre eigene antisemitische Verschwörungserzählung schon. So ist das mit diesen Leuten - Kunstfreiheit gilt vor allem für sie selber.