"Warum Wikinger?": Peter Schanz über einen erstaunlichen Kult
Vor wenigen Tagen schloss Autor Peter Schanz die Produktion seines neuen Features "Warum Wikinger?" ab. Im Interview berichtet der Dramaturg von süßem Met, starken Frauenbildern und dem Sog der Vergangenheit.
Hölzerne Wikingerschiffe zieren Kinderspielplätze, Plastikfigürchen mit kleinen Hörnern und langen Bärten regen zum Spielen in so manchem Kinderzimmer an. Erwachsene verfallen dem Wikinger-Kult auf atmosphärischen Mittelaltermärkten und in herausfordernden Rollenspielen. Hinter diesem Kult steckt eine spielerische Interpretation dessen, was in den Geschichtsbüchern steht.
Laut historischen Überlieferungen verbreiteten die räuberischen unter den Nordmännern Angst und Schrecken in ganz Europa. Sie waren gefürchtete Krieger, überfielen Handelsorte, raubten wertvolle Güter und verschwanden wieder. Heute rankt sich ein stark romantisierter Kult um sie. Feature-Autor Peter Schanz ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Er besuchte das Museumsdorf Haithabu, Mittelaltermärkte und unterhielt sich mit Fachfrauen und Fachmännern, um die Frage zu beantworten "Warum Wikinger?".
Lieber Herr Schanz, eine Frage drängt sich eingangs auf: Warum Wikinger? Wie kamen Sie auf die Idee, sich dieser Thematik anzunehmen?
Peter Schanz: Das Wikinger-Thema ließ sich plötzlich gar nicht mehr übersehen: eines Tages bekam ich offizielle Post aus Schleswig mit dem Drachenboot-Logo auf dem Briefumschlag, das Paar aus der Nachbarschaft trug zu Undercut-Zopf-Frisuren frisch gerötete Tattoos mit nordischen Zeichen, der Enkel bespielte Playmobil-Rabauken mit Hörnern auf den Helmen, und von da an überblätterte ich den täglichen "Hägar" im Lokalblatt nicht länger.
Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen? Sind Sie in die Wikingerwelt eingetaucht, haben Sie sie am eigenen Leib erfahren, Met probiert, sind Sie in einen Lederschurz geschlüpft oder näherten Sie sich dem eher theoretisch an?
Peter Schanz: Gewöhnlich nähere ich mich als nur teilweise teilnehmender Beobachter und achte sehr auf die Einhaltung der professionellen Distanz. Aber bisweilen sind Erfahrungen am eigenen Leib durchaus sehr zielführend: also "Ja" zum Met - und ich musste viel trinken, bis ich einen fand, der mir nicht zu süß war. Aber "Nein" zum Lederschurz. Hauptsächlich versuchte ich einfach, ins Gespräch zu kommen - mit den unterschiedlichsten Fachmännern und Fachfrauen unterschiedlichster Wikinger-Fachgebiete.
Die Nordmänner, auf denen der Wikinger-Hype basiert, gelten als gefürchtete Krieger, überfielen Handelsorte. Nun rankt sich ein stark romantisiertes Bild um sie. Sie haben uns von Ihrer Recherchereise bemerkenswerte Bilder mitgebracht, die Kinderspielfiguren abbilden, ein Wikingerschiff auf einem Kinderspielplatz zeigen. Sie waren in einem gepflegten Hotel zu Gast, das mit "einzigartigem Wikingercharme" wirbt. Was glauben Sie, wie es zu dieser Romantisierung kommt?
Peter Schanz: Die erste Romantisierungswelle des Wikingerbildes stammt wohl aus dem 19. Jahrhundert, wo Richard Wagner sozusagen die Hörner auf den Helmen der Wikinger erfunden hat. Wobei auch schon die Niederschrift der großen nordischen Sagas, auf deren Helden-Bilder sich bis heute die Authentizitäts-Behauptungen zur guten alten "echten" Wikingerzeit berufen, erst 200 Jahre nach der Zerstörung Haithabus erfolgte.
Das ist in etwa so "authentisch", als würden wir ein heutiges Großstadt-Straßenbild beschreiben und "Weimar zur Goethe-Zeit" drunter schreiben. Heute ist die Romantisierung sicher der Tatsache geschuldet, dass wir in einer sich immer schneller verändernden Welt leben und uns die früher hilfreichen einfachen Ordnungsstrukturen abhanden gekommen sind. Und da bietet die Wikingerzeit vielen Menschen einen schönen Rückzugsort in eine längst vergangene Welt, wo alles so einfach geregelt zu sein scheint: gut und böse, richtig und falsch, stark und schwach, oben und unten.
Sie haben vermutlich auch mit Menschen gesprochen, die Mittelaltermärkte lieben und regelmäßig in dieser Welt, die von Entbehrung geprägt ist, aufgehen, zum Teil davon werden. Welche Sehnsüchte werden hier erfüllt? Was macht die Anziehungskraft dieser Märkte aus?
Peter Schanz: Vermutlich ist das die unschlagbare Mischung aus Freiheit und Sicherheit: auf der einen Seite Wildheit und Abenteuer, Kämpfen und Urwüchsigkeit, und gleichzeitig die behagliche Geborgenheit im Kreise der Gruppe, des Lagers, des Stammes, der Familie, des Regelwerks. Und meistens steht auch irgendwo hinter dem nackten einfachen Leben in den kargen Zelten wenigstens ein Dixie-Klo.
Offene Feuerstellen, schmutzbedeckte Muskeln, erkennbare Tierfälle und Leder am Leib, Allgegenwärtigkeit von Werkzeug und Waffen: Hier wird ein martialisches Männerbild wiederbelebt. Sind es vorwiegend Männer, die sich von diesem Kult beflügeln lassen? Und welche Rolle bekleiden weibliche Wikinger-Fans?
Peter Schanz: Naja - mir kommt es schon vor, dass das zum großen Teil sicher so ein Männer-Ding ist: Met trinken, Schlachtrufe grölen, Muskeln zeigen. Und teilweise werden offensichtlich die alten patriarchalen Rollenbilder weiterhin gepflegt: Mann hämmert, Frau kocht. Aber im Gefolge von "Vikings", jener weltweit irrsinnig erfolgreichen Netflix-Serie, brachte Hollywood das Frauenbild der kämpfenden Schildmaid in Umlauf, weshalb nun voll emanzipierte Wikingerfrauen abgefeiert werden, die genauso Dörfer plündern und Feinde abschlachten, wie die männlichen Berserker, und die natürlich enge Lederklamotten tragen und verwegen coole Frisuren. Spannend, wohin sich die Frauen der Szene jetzt entwickeln werden.
Konnten Sie herausfinden, inwiefern diese Rollenbilder, in die die Menschen an ihren Wochenenden schlüpfen, auch in ihren Alltag überführt werden?
Peter Schanz: Nee - so investigativ war ich dann doch nicht unterwegs, dass ich in "wallraffscher" Manier meinen Gesprächspartner*innen in deren Alltag nachgeschlichen wäre. Ich will aber mal hoffen, dass die meisten Rollenbilder zusammen mit den dazugehörigen Gewandungen in den Klamottenkisten und Kostümsäcken bis zum nächsten Wochenende weggeschlossen bleiben.
Sie definierten den Wikingerkult eingangs etwas befremdet als "erstaunliche Zeiterscheinung". Wo stehen Sie heute? Können Sie dem Wikingercharme nach ihrem Eintauchen in den Kult widerstehen oder tragen Sie nun heimlich Hörner, lassen sich den Bart noch etwas länger wachsen oder halten Ausschau nach einem Hausboot?
Peter Schanz: Was die Hörner betrifft, da durfte ich lernen, dass diese eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sind. Und die Trinkhörner - nun ja: der Met ist mir, wie gesagt, fast immer zu süß. Bis auf Lokis mit Wacholder gebrautem Met, den ich mittlerweile kosten durfte. Meinen Bart trage ich schon immer - meine Familie kennt mich nicht ohne. Ein Hausboot allerdings wäre eigentlich ganz schön, damit würde ich gerne auf der Schlei, der alten Wikinger-Hauptroute, herumdümpeln, solange ich nicht rudernd auf Plünderfahrt gehen muss.