Ein Kind hält ein Smartphone in der Hand. © IMAGO / imagebroker

Gewalt im Netz: Wie vermitteln wir unseren Kindern Medienkompetenz?

Stand: 22.05.2023 17:28 Uhr

Marcel Schröder, Referent für Medien und digitale Partizipation bei der Aktion Kinder und Jugendschutz in Schleswig-Holstein, erklärt, wie man Kinder schützt und ihnen Handwerkszeug an die Hand gibt.

Wir stehen als Erwachsene ziemlich hilflos da, wenn wir sehen, was unsere Kinder sich alles im Internet angucken können. Vor Kurzem gab es zum Beispiel einen Großbrand in Flensburg mit zwei Toten. Da haben sich Smartphone-Videos von Menschen, die skrupellos mit dem Handy draufgehalten haben, rasant über die sozialen Netzwerke verbreitet, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die danach zum Teil psychologische Hilfe brauchten.

Herr Schröder, was beobachten Sie,wovor müssen wir unsere Kinder schützen?

Schröder: Wir schützen an sich nicht, wir vermitteln Kompetenzen, um solche Inhalte kritisch einzuordnen. Und das Ganze eben im Wesentlichen für Multiplikatorinnen, also Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter, pädagogischen Fachkräfte - wie sie ins Gespräch kommen können, wie sie handlungsfähig bleiben können bei solchen Inhalten. Wenn also ihre Zielgruppe, die Kinder und Jugendlichen, damit konfrontiert sind.

Haben Sie da praktische Tipps? Wo setzen Sie da an?

Schröder: Lehrerinnen und Lehrer müssen grundsätzlich eine Offenheit und eine Zuwendung hin zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen mitbringen. Denn nur wenn ich die mitbringe, dann kann ich verstehen, womit Schülerinnen und Schüler in ihrer Alltagswelt konfrontiert sind. Wenn ich über soziale Netzwerke rede, dann funktionieren diese Netzwerke nach einer Aufmerksamkeitsökonomie, die auch eine wesentliche Funktion für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen hat - in dem Maße, dass wir in der heutigen Zeit nicht nur KonsumentInnen von Medieninhalten sind, sondern in einer zunehmenden Weise auch zu ProduzentInnen von Medieninhalten werden. Sprich: Die Art und Weise, wie ich mich zu einem vorgefundenen Inhalt verhalte, verrät etwas darüber, wer ich bin. Like ich etwas? Kommentiere ich etwas? Teile ich etwas? Oder bin ich aktiv darin, selbst erstellten Content zu produzieren? Das gibt Jugendlichen einen sehr starken Aufschluss darüber, wer sie sind, was sozusagen ihre digitale und auch ihre damit sehr stark verwobene Identität ausmacht.

Wenn Sie sagen, dass die Lehrer sich da auch rein lesen müssen, das alles anklicken müssen, das sehen müssen, fragt man sich natürlich: Wann sollen die das noch machen? Die haben natürlich auch einen ganz vollen Plan. Sollten da ganz neue Schwerpunkte gesetzt werden?

Schröder: Ich denke, dass die Art und Weise, wie wir heute zusammenkommen in der Schule, einmal grundsätzlich auf den Prüfstand gehört. Ich hab die Vorstellung von einer Schule, die einer modernen Bibliothek entspricht, wo Schülerinnen und Schüler situativ zusammenkommen können und anhand von praktischen Aufgaben projektbezogen zusammenarbeiten können, anstatt auf Prüfung hingerichtet zu lernen. Auf diese Weise schaffen wir Erfahrungsräume, in denen es gelingen kann, ein Gefühl für die eigenen Stärken und Schwächen zu bekommen. Und sich vor allem aber auch ohne den Druck einer Prüfung mit selbstgewählten Themen zu beschäftigen, die einen ganz anderen Zugang ermöglichen, als das in den traditionellen Unterrichtsformen möglich ist, in denen - und das ist weiterhin ja gängige Praxis in Schulen - Schülerinnen und Schüler immer wieder in diese passive Rolle hereingedrängt werden, Lerninhalte konsumieren und reproduzieren zu müssen. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage: Handlungs- und Gestaltungskompetenz fördern. Sie haben es da mit Anwendungsmöglichkeiten zu tun, die natürlich digitale Medien beinhalten. Sie haben es aber auch mit ethischen Ansätzen zu tun, also ein Gefühl dafür zu bekommen, wer ich bin, was von mir erwartet wird in einer Gesellschaft. Und darüber, einen moralischen Kompass darüber zu entwickeln, was in Ordnung ist, was ich teilen kann. Wo ich vielleicht aber auch mal innehalten müsste.

Sie haben den moralischen Kompass gerade angesprochen, für den sich ja auch Eltern eigentlich zuständig fühlen, die gerne ihren Kindern etwas mitgeben möchten. Was sollen wir denn da tun? Sollen wir verbieten? Sollen wir kontrollieren? Was hilft?

Schröder: Grundsätzlich kann ich sagen, dass es nicht möglich ist, zu verbieten, dass Kinder und Jugendliche solche Inhalte sehen. Wichtig ist auch, hier empathisch zu sein, die Jugendlichen nicht dafür zu bestrafen, was sie gesehen haben. Denn wenn man mit Sanktionen reagiert, produziert man damit eigentlich nur eine Haltung, die es das nächste Mal verhindert, dass Kinder und Jugendliche sich offen an ihre Eltern wenden werden. Vielmehr ist hier gefragt, ein offenes Ohr für die Sorgen der Kinder und Jugendlichen zu haben und ansprechbar zu sein. Dabei behilflich zu sein, zu reflektieren, was gerade gesehen wurde und was es bedeuten würde, das zu teilen.

Was fordern Sie von der Politik? Kann von der Seite etwas kommen? Zum Beispiel Verbote, überhaupt solche Inhalte zu zeigen - oder irgendwelche Regulierungsvorschläge?

Schröder: Ich kann Ihnen sagen, dass wenn wir über Gewaltdarstellungen in sozialen Netzwerken reden, die Anbieter in der Pflicht sind, diesen Content zu moderieren.

Was sie aber zum Teil nicht tun.

Schröder: Beispielsweise im Fall von Missbrauchsdarstellungen tun sie das, indem sie sehr eng mit Datenbankbetreibern zusammenarbeiten, die also geflaggten Content auf ihrer Seite oder in ihren Datenbanken registriert haben. Wenn wir allerdings über spontane Ereignisse reden - wie den von Ihnen erwähnten Großbrand - und unmittelbar danach Gewaltdarstellungen im Internet landen, dann ist es schwierig für solche Programme zu reagieren. In einer so schnellen Informationsökonomie hier ein Verbot zu fordern, das würde dem gleichkommen, also in den Informationsfluss direkt einzugreifen. Ich denke, dass hier das Risiko der freien Meinungsäußerung sehr stark darunter leiden würde. Denn wie könnte man so etwas machen? Durch technische Lösungen. Allerdings: Wie erkennt man es in einer Rauchsäule, ob eine Person darin ist? Es ist nun schwer umzusetzen. Dann würde man sich dieses Verbot dadurch erkaufen, dass man massenhaft Kommunikationsdaten filtern müsste.

Was würden Sie sagen? Ist es fünf vor oder schon fünf nach zwölf?

Schröder: Wenn man das Thema analog zur Lesekompetenz begreift, dann sehen wir, glaube ich, auch die Tragweite, wie Medienkompetenz uns unser Leben lang im Prinzip begleiten wird. Und je eher wir also die Grundsteine für ein medien- und digitalkompetentes Leben legen, desto besser können wir davon profitieren.

Das Gespräch führte Julia Westlake.

 

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