"Passages": Eine Dreiecksgeschichte in der Pariser Künstlerszene
In "Passages" entwirft Regisseur Ira Sachs eine interessante Dreieckskonstellation, in der der Protagonist, gespielt von Ausnahmedarsteller Franz Rogowski, immer unsympathischer wird.
Man lernt Tomas, dargestellt von Franz Rogowski, in Action kennen: Der angesagte Regisseur dreht gerade in Paris einen Film - und strapaziert, wie üblich, Cast und Crew. Kaum heißt es "Kamera läuft", schon schreit er wieder "Stop!", um den Schauspieler nochmal minimal zu korrigieren. Durch diese Eingangssequenz ist der Mann schon hinreichend charakterisiert: als Kontrollfreak und Egozentriker, der es normal findet, dass andere sich nach seinen Wünschen richten. Das erwartet er auch von seinem Ehemann Martin bei der abendlichen Drehschlussparty:
Tomas: "Kannst Du vielleicht nicht so langweilig gucken? Wir wollen hier feiern!"
Martin: "Ich hab' keine Lust zu tanzen, Tomas. Ich hab' den ganzen Tag gearbeitet."
Tomas: "Ich hab' auch keine Lust zu tanzen. Unterstütz' mich einfach!"
Agathe: "Ich tanze mit Dir.
Tomas: "Du tanzt mit mir? Okay. Au revoir."
Filmszene
Ein spontanes Abenteurer mit Folgen
Aus dem Tanz mit der aufregend schönen und selbstbewussten Agathe ergibt sich eine nächtliche Affäre, die von der Kamera in erstaunlich natürlichen Bildern eingefangen wird. Man glaubt die spontane Leidenschaft, die der eigentlich homosexuell lebende Tomas mit dieser Frau erlebt. Agathe wird gespielt von Adèle Exarchopoulos, die schon im lesbischen Liebesdrama "Blau ist eine warme Farbe" extrem authentisch wirkte. Nun ist Tomas aber nicht der Typ, der den erotischen Ausflug still genießt. Gleich am nächsten Morgen bekommt Ehemann Martin - auch er mit Ben Whishaw stark besetzt - die Sache brühwarm aufgetischt.
Tomas: "Weißt Du, was ich gestern gemacht hab'?"
Martin: "Nein, aber was immer es war, Du klingt sehr begeistert."
Tomas: "Ich hatte Sex mit einer Frau. Kann ich Dir davon erzählen, bitte?"
Martin: "Ja, okay."
Tomas: "Ich hab was gespürt, was ich schon lange nicht mehr gespürt habe."
Martin: "Ich muss mir das nicht anhören!"
Tomas: "Das war aufregend. Das war echt anders, Martin."
Filmszene
Einen gewissen Freiraum, so schließt man aus Martins Reaktion, hat es immer schon gegeben in dieser Paarbeziehung. Aber Tomas scheint zu erwarten, dass sein Mann sich auch noch mit ihm freut über das Abenteuer - und weitere Begegnungen mit Agathe.
Atemberaubende Intimität
Regisseur Ira Sachs lotet in seinen Filmen gerne Beziehungskonstellationen jenseits bürgerlicher Normvorstellungen aus - und zwar unaufgeregt. Es geht ihm nicht um große Dramatik, sondern um Möglichkeiten des Miteinanders - und um die Grenzen. In "Passages" entwirft er eine interessante Dreieckskonstellation. Wie werden die Beteiligten mit den fließenden Übergängen, die vor allem Tomas vorschweben, umgehen?
Für die Szenen, in denen Tomas und Agathe ihre Körper und Seelen noch behutsam erkunden, nimmt der Regisseur sich minutenlang Zeit. Die Kamera wird dann zur stillen Beobachterin von Blicken, Berührungen, kleinen Gesten. Da entsteht eine atemberaubende Intimität mit seinen Figuren. Doch einen ganzen Film trägt das nicht. Irgendwann bestimmt nur noch Tomas mit seiner manipulativen Art das Geschehen. Er will nur seine Bedürfnisse befriedigt wissen und wird dadurch als Protagonist immer unsympathischer. Sobald es um erwachsene Verpflichtungen geht - wie ein Essen mit Agathes Eltern -, entzieht er sich wie ein trotziges Kind.
"Passages" wird zu einem langen Elend
Selbst der Ausnahmedarsteller Franz Rogowski kann aus der toxischen Persönlichkeit dieser Figur ab einem gewissen Punkt nichts Spannendes mehr machen. Der Film "Passages" wird dann zu einem langen Elend, wie manche Beziehung, in der sich zwei Menschen längst nicht mehr gut tun. Man möchte der Hauptfigur eine narzisstische Störung attestieren, aber nicht unbedingt einen ganzen Kinoabend mit ihr verbringen.
Passages
- Genre:
- Drama | Romanze
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- Frankreich
- Zusatzinfo:
- Mit Ben Whishaw, Adèle Exarchopoulos, Franz Rogowski u.a.
- Regie:
- Ira Sachs
- Länge:
- 92 Minuten
- FSK:
- ab 16 Jahre
- Kinostart:
- 31. August 2023