"Maestro": Ehrliche Künstlerbiografie über Leonard Bernstein
Bradley Coopers Film "Maestro" dreht sich um das Ehedrama von Leonard Bernstein und Felicia Montealegre - und um das Bild eines schwer fassbaren Mannes. Der Film war sieben Mal für den Oscar nominiert - ging aber leer aus.
Die "West Side Story" hat ihn unsterblich gemacht. Aber Leonard Bernstein war als Komponist und Dirigent in den Konzerthäusern der Welt genauso zu Hause wie auf dem Broadway. Er schuf Musicals, Film-, Chormusik und große Orchester-Symphonien. Vor allem aber war auch sein Privatleben facettenreich genug, um Stoff für ein Filmporträt zu liefern.
Leonard Bernstein - Ein musikalisches Multitalent
Eine der ersten Filmszenen bebildert eine legendäre Anekdote aus dem Jahr 1943: Bernstein, 25 Jahre jung, liegt morgens um halb zehn noch mit einem Liebhaber im Bett, als das Telefon klingelt und sein großer Moment gekommen ist: Er soll abends in Vertretung für den kranken Bruno Walter das New York Philharmonic Orchestra in der Carnegie Hall dirigieren. Es wird ein Triumph.
Leonard Bernstein aber will auch als Pianist und Komponist wahrgenommen werden. Bradley Cooper stellt ihn dar als musikalisches Multitalent, das sich durch das Schubladendenken seiner Zeit eingeengt fühlt. Aber auch für sich selbst bekommt er die verschiedenen Disziplinen schwer unter einen Hut: Der Komponist in ihm braucht die Stille - der Dirigent aber lässt sich gerne öffentlich feiern.
Das innere Drama von Bernsteins Ehefrau Felicia Montealegre
Und da ist noch ein großer Widerspruch in Bernsteins Leben, den Cooper ins Zentrum des Films stellt: Er liebt Männer, heiratet aber eine Frau - die Schauspielerin Felicia Montealegre.
"Man sollte im Leben nicht alles so ernst nehmen. Auf gar keinen Fall! In welcher Zeit leben wir denn? Man kann so frei sein, wie man will - ohne Schuldgefühle oder Gewissensbisse. Lenny, was ist daran so schlimm? Ich weiß ganz genau, wer Du bist." Filmszene
Weiß sie es? Ahnt sie, worauf sie sich einlässt? Zunächst sicher nicht. Denn Lenny hat sich ja tatsächlich Hals über Kopf in sie verliebt. Eine spielerisch einfließende Tanzszene mit feschen Matrosen allerdings deutet schon an, dass ihr sein erotisches Interesse nie ungeteilt gelten wird. Felicia wird zur Mutter seiner drei Kinder, engsten Vertrauten, seinem Ruhepol. Bei depressiven Anflügen hätschelt und ermutigt sie ihn.
Carey Mulligan ist in der Rolle der eigentliche Star des Films. Denn ihr gelingt es, das innere Drama der Ehefrau nachfühlbar darzustellen. Ihre eigene Karriere, ihre Bedürfnisse liegen auf Eis, weil alles um das labile Künstler-Genie im Hause kreist. Und dann auch noch seine Affären mit Männern.
Cooper sieht Bernstein frappierend ähnlich
Der Maestro selbst, von Bradley Cooper dargestellt, ist als Persönlichkeit dagegen schwer fassbar. Sein Schwanken zwischen überschwänglicher Freude an jeder Note Musik und jämmerlichem Selbstmitleid erinnert sehr an die üblichen Künstler-Klischees.
Die Physiognomie Bernsteins macht Cooper sich mit Hilfe einer großartigen Maske ganz zu eigen. Wobei sich nun zeigt, wie überflüssig die Diskussion rund um die eingesetzte Nasen-Prothese und das angebliche "Jew-Facing" war. Der Film-Bernstein sieht dem Original ziemlich ähnlich. Auch sein näselndes Sprechen kopiert Cooper und die ekstatischen Gesten beim Dirigieren, für die der Mann berühmt war.
Auch optisch ist "Maestro" gekonnt inszeniert - mit einer Farbgebung, die sich mit der jeweiligen Ära verändert, vom Schwarz-Weiß der 50er- bis zur bunten Farbfernsehpalette der 70er-Jahre.
"Maestro": Hut ab vor so viel Ehrlichkeit
Aber der Film hat ein Gewichtungsproblem: Gerne würde man Bernstein mehr am Dirigentenpult erleben, mehr mit seinen Kompositionen befasst sehen, mehr über die Quellen seiner Grenzen-überschreitenden Musik erfahren und vor allem noch mehr davon hören. Dieser doch erhebliche Teil seines Lebens wirkt im Film merkwürdig unterrepräsentiert.
Hängen bleibt am Ende vor allem das Ehedrama der Bernsteins und das Bild eines um sich selbst kreisenden Mannes. Immerhin keine filmische Verklärung! Das macht diese Künstlerbiografie dann doch wesentlich interessanter als andere. Und Bernsteins drei Kinder sehen auch die besondere Liebe ihrer Eltern gut und richtig dargestellt. Hut ab vor so viel Ehrlichkeit, die in den 50ern eben noch nicht lebbar war.
Maestro
- Genre:
- Biografie | Drama
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- USA
- Zusatzinfo:
- Mit Bradley Cooper, Carey Mulligan, Matt Bomer u.a.
- Regie:
- Bradley Cooper
- Länge:
- 129 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 7. Dezember 2023