"A Haunting in Venice": Blutleerer Agatha-Christie-Krimi
66 Kriminalromane hat Krimiautorin Agatha Christie verfasst. Einer der weniger bekannten heißt "Die Halloween-Party" - und der kommt nun unter dem Titel "A Haunting in Venice" in die Kinos.
Venedig kann sehr kalt sein - und sehr gespenstisch, wenn es ächzt im morschen Gebälk der alten Palazzi und der Wind an den meterhohen Fenstern rüttelt. Die Stadt, mit ihrem unerschöpflichen Reservoir an Postkarten-Motiven, ist für den Regisseur Kenneth Branagh die Hauptdarstellerin in diesem Film - neben Branagh selbst, der mit gezwirbeltem Schnurrbart wieder Meisterdetektiv Hercule Poirot spielt. Ermittlungsmüde, voller Welt-Verdruss - nichts lockt ihn im Jahr 1947 mehr von seiner Dachterrasse mit Canal-Grande-Blick. Bis eine befreundete Krimi-Autorin sein Interesse auf eine Frau lenkt, die angeblich mit Geistern sprechen kann.
Kenneth Branagh kreiert eine gespenstische Atmosphäre
Michelle Yeoh, die frisch gekürte Oscar-Preisträgerin, spielt die spirituell begabte Miss Reynolds, der Poirot nun im Palazzo einer ehemaligen Opern-Diva begegnet. Was er, der Verstandesmensch, von einer Scharlatanin wie ihr hält, daraus macht er keinen Hehl:
"Wissen Sie, Madame, ich wurde in meinem Leben noch nie verzaubert von Ihresgleichen."
"Meinesgleichen?"
"Bauernfänger, die Verwundbare ausnutzen."
Filmszene
Seine Ratio wird auf die Probe gestellt. Denn mysteriöse Dinge geschehen im Palazzo vor und während der anberaumten Seance.
Erstmals versucht sich Kenneth Branagh hier an einem Mystery-Krimi, der mehr auf eine gespenstische Atmosphäre als auf raffinierte Story-Wendungen setzt. Geister hausen in den Wänden ihres historischen Palazzos, davon ist Besitzerin Rowena Drake überzeugt. Und am lautesten vernehmbar sei das Seufzen ihrer verstorbenen Tochter Alicia, mit der Miss Reynolds Kontakt aufnehmen soll.
Auf eine von Geisterhand in Gang gesetzte Schreibmaschine fällt ein Hercule Poirot natürlich nicht herein. Aber warum sieht auch er plötzlich ein Kindergesicht im Spiegel? Und warum stürzt nach der Sitzung eine der teilnehmenden Personen urplötzlich in den Tod?
"A Haunting in Venice": Kein überzeugender Thriller
Man möchte sich gerne einlassen auf den Spuk, weil er sich so sinnlich manifestiert in den alten venezianischen Gemäuern. Die Kälte in den turmhohen Zimmern, der Modergeruch zwischen verblassten Wand-Fresken und rostenden Wasserhähnen - all das ist spürbar und ein faszinierender Gegensatz zur majestätischen Grandezza des Hauses mit seinen Kronleuchtern und antiken Standuhren. Regisseur Branagh ist ganz offensichtlich entschlossen, den ikonischen Venedig-Bildern, die die Filmgeschichte schon zu bieten hat, noch ein paar hinzuzufügen. Und als Architektur-Film ist "A Haunting in Venice" wirklich gelungen. Nur als Thriller sehr viel weniger. Denn die Dialoge werden lahm und lahmer. Der belgische Meisterdetektiv schwadroniert mehr, als er kombiniert.
"Ich bin offen für jedes ehrliche Zeichen des Dämons, des Teufels oder Geistes. Denn gibt es einen Geist, gibt es eine Seele. Gibt es eine Seele, gibt es einen Gott, der sie erschaffen hat. Und haben wir Gott, haben wir alles, mit anderen Worten Ordnung, Gerechtigkeit." Filmszene
Der Vorteil der weniger bekannten Agatha Christie-Vorlage ist: Die Lösung wissen hier tatsächlich nur Insider. Es gab bisher nur eine britische Fernseh-Verfilmung mit Hercule Poirot als Ermittler; und Venedig als Schauplatz hat sich Regisseur Branagh ausgedacht. Der Originalstoff spielt im englischen Phantasie-Örtchen "Woodleigh Common". Besonders verblüffend aber ist der Fall trotzdem nicht. Für Venedig-Liebhaber lohnt sich der Gang ins Kino, für Suspense-Junkies definitiv nicht.
A Haunting in Venice
- Genre:
- Krimi | Mystery | Thriller
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- USA
- Zusatzinfo:
- Mit Kenneth Branagh, Michelle Yeoh, Jamie Dornan u.a.
- Regie:
- Kenneth Branagh
- Länge:
- 103 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 14. September 2023