Woody Allen steht mit einem Hut auf dem Kopf vor einem Filmplakat. © picture alliance/dpa/EUROPA PRESS | Lorena Sopêna
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Woody Allen steht mit einem Hut auf dem Kopf vor einem Filmplakat. © picture alliance/dpa/EUROPA PRESS | Lorena Sopêna
AUDIO: Woody Allen: "Ein Glücksfall" (6 Min)

Woody Allen: "Ich staune immer, wie gefährlich das Leben ist"

Stand: 12.04.2024 11:29 Uhr

"Ein Glücksfall" heißt der neue Film von Kult-Regisseur Woody Allen. Ein Gespräch über seinen 50. Film, über das Wesen von Glück und Neugier - und die veränderten Bedingungen in der Filmbranche.

Seit Kurzem ist der neue Film des Regisseurs Woody Allen im Kino zu sehen. "Ein Glücksfall" heißt der Streifen, in dem ein Mann und eine bereits vergebene Frau sich in Paris zufällig treffen. Doch die Liebe, die sich daraus ergibt, hat Konsequenzen. Das Glück und der Zufall sind für den 88-jährigen Regisseur Woddy Allen Lebensthemen.

Der Film beginnt mit einer Zufallsbegegnung. Fanny und Alain treffen aufeinander. Das ist vielleicht ein Glück - oder ein Desaster. Was wollen Sie mit Ihrem neuen Film erzählen?

Woody Allen: Ich dachte, das sei eine unterhaltsame und interessante Geschichte darüber, was für eine Rolle das Schicksal, der Zufall und das Glück in unserem Leben spielen. Und wie schnell die Leute dabei sind, die Bedeutung des Glücks abzulehnen. Sie protestieren und sagen, sie schmieden ihr eigenes Glück. Sie finden, dem Glück zu vertrauen sei eine Schwäche. Sie sind aber abhängiger davon, als sie es selbst wissen. Es wäre natürlich schön, wenn wir die Dinge besser unter Kontrolle hätten und unser eigenes Glück schmieden könnten. Das können wir auch zum Teil. Aber nicht so sehr, wie wir es gerne hätten.

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Szene aus dem Film "Ein Glücksfall" © Gravier Productions Inc Foto: Thierry Valletoux

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Sie haben oft in Ihrem Werk den Zufall und das Glück thematisiert. Was fasziniert Sie daran?

Allen: Ich staune immer wieder, wie gefährlich das Leben ist. Wie ein Zentimeter hier oder ein Zentimeter dort, ein Moment hier oder dort, einen Unterschied machen und danach das Leben beeinflussen können - vielleicht mit lebenslangen Folgen. Das führt zu interessanten Geschichten und Ideen - für Romane, für Filme. Das beschäftigt mich.

Dieser Film erinnert mich an Ihren Film "Match Point" von 2005, meiner Meinung nach ein Mix aus Romanze, Thriller und Porträt einer sozialen Schicht. Die deutsche Pressemitteilung spricht nun bei "Ein Glücksfall" von einem "romantischen Thriller". Was finden Sie an diesem speziellen Genre spannend?

Allen: Ich denke nicht in Kategorien über meine Filme. Ich habe einfach nur eine Idee und glaube, die Geschichte wird jemanden unterhalten. Ich denke nicht "Komödie. Thriller", sondern: "Was passiert als nächstes? Wer sind diese Menschen? Wie können meine Filme möglichst dramaturgisch und spannungsvoll und - vielleicht durch mein Zutun - romantisch das Kostbare des Lebens zeigen? Die Abhängigkeit in diesem Leben vom Glück und vom Zufall?" Du denkst, du hast alles unter Kontrolle, dabei ist es natürlich nicht so. Es verursacht aber ein mulmiges, beängstigendes Gefühl, sich das klarzumachen.

Absolut, ich gebe Ihnen Recht. Lassen Sie uns über die Hauptfigur Fanny sprechen. Sie hat einen tollen Job, eine schöne Wohnung, einen etwas merkwürdigen, aber reichen und hingebungsvollen Ehemann. Trotzdem verliebt sie sich in ihren alten Schulkameraden Alain und gibt sich einer Affäre hin. Haben reiche Menschen es schwerer, sich einfach mit dem zufrieden zu geben, was sie haben, und kommen daher auf dumme Gedanken? So wie Fannys Ehemann zum Beispiel mit den osteuropäischen Auftragsmördern?

Allen: Das glaube ich nicht. Das kommt in allen sozialen Geschichten vor. Arme Leute, reiche Leute, alle lassen sich von ihren Gefühlen leiten. Von romantischen Gefühlen, von Eifersucht, von Liebe, von Aggressionen, bei ihren Ränkespielen. Man sollte eigentlich meinen, dass jemand mit einem gewissen Bildungsniveau etwas schlauer wäre, als das eigene Leben mit gefährlichen Mordplänen zu riskieren. Das ist aber nicht so. Menschen mit wenig Ressourcen haben dieselben Dilemmas. Nur äußerlich sieht es anders aus - sie führen ihre Pläne anders aus. Aber alle sind gleichermaßen Opfer derselben Emotionen.

Die Rolle des Amateurdetektivs taucht wiederholt in Ihren Filmen auf. Hier ist es zum Beispiel Fannys Mutter. Wie neugierig sind Sie persönlich? Und ist das der Grund dafür, dass es so viele Gestalten und Figuren in Ihren Filmen gibt, die versuchen herauszufinden, was hinter den Kulissen passiert?

Allen: Ich denke nicht in Begriffen wie Profi-Ermittler. Ich denke, der Durchschnittsmensch, der spürt, da ist etwas faul - im Leben, im Universum -, der geht dem nach. Das ist einfach Instinkt. Dieser Versuch herauszufinden, was das flaue Gefühl im Magen verursacht. Was einen Verdacht weckt, dass etwas nicht stimmt. Das führt zu vielen Geschichten, die zu einem Theaterstück, zu einem Buch, zu einem Film werden. So arbeiten Autoren seit Jahrhunderten. Dieser Mensch, der eine Unregelmäßigkeit spürt und dann nachforscht. Er tut es dann ohne professionelle Ausbildung, eher umständlich, auf vielleicht gefährliche, amateurhafte oder Komik erzeugende Weise. Das macht eine interessante Geschichte aus.

Sind Sie ein neugieriger Mensch?

Allen: Interessant, dass Sie fragen. Im echten Leben bin ich überhaupt nicht neugierig. Ich sitze zu Hause, ich reise nicht gern, ich bin an kaum etwas interessiert, was meine Freunde spannend finden. Ich bin glücklich, wenn ich morgens aufstehe, meine Übungen mache, etwas schreibe, Klarinette übe, spazieren gehe und dann nach Hause komme.

Ich lebe schon mein Leben lang in New York. Erst, als ich 80 geworden bin, bin ich das erste Mal nach Kanada gereist, dabei ist es doch so dicht an New York! Nicht einmal eine Stunde entfernt! Ich war noch nie in Mexiko, unserem Nachbarland. Das ist keine Abneigung, sondern fehlende Neugierde. Ich war noch nie westlicher als Kalifornien, ich war nicht im Nahen Osten. Ich bin nicht neugierig. Aber die Figuren in meiner Fiktion - das ist ein anderes Kapitel.

Sie sind jetzt 88 Jahre alt. Woran arbeiten Sie aktuell?

Allen: Ich schreibe gerade an etwas. Ich weiß noch nicht genau, was es mal wird. Ein Film, ein Theaterstück, ein Buch vielleicht. Ich schreibe immer.

"Coup de Chance", auf Deutsch "Ein Glücksfall", ist Ihr 50. Film. Was bedeutet es Ihnen, seit so vielen Dekaden Filme zu machen und eine Art eigenes Genre geschaffen zu haben, den "Woody-Allen-Film", auf den das Publikum jedes Jahr wartet?

Allen: Ich habe sehr großes Glück gehabt. Als ich jung war, hatte ich keine gute Ausbildung, wusste nicht, wo ich im Leben hin will. Glücklicherweise habe ich Filme drehen und mein ganzes Leben lang Filme machen können, was sehr viel Spaß macht. Sobald die Filme fertiggestellt sind, habe ich keinerlei Interesse mehr an ihnen. Ich habe an den 50 Filmen kaum noch Interesse: ob sie irgendwo vorgeführt werden, wo sie laufen, ob sie im Regal Staub fangen oder nie gezeigt werden. Ich genieße das Filmemachen an sich. Drehbücher zu schreiben, die Filme zu drehen, sie bei der Premiere sehen, wenn sie erscheinen. Danach erlischt mein Interesse an ihnen.

Wie sehr hat sich das Filmemachen über die Dekaden verändert, wenn Sie zurückblicken?

Allen: Es hat sich absolut verändert. Heute schauen Menschen Kinofilme zu Hause auf ihren Fernsehbildschirmen. Das Ritual, gemeinsam ins Kino gehen, in der Schlange zu stehen, sich mit 300, 400, 700 anderen Menschen in einen Saal zu setzen, etwas Dramatisches, etwas Musikalisches, etwas Romantisches gemeinsam zu erleben, das hat nachgelassen. Viele Kinos in New York haben dichtgemacht. Die Kinoindustrie ist nur noch daran interessiert, Blockbuster-Filme zu erzeugen. Sie haben herausgefunden, dass sie, wenn sie eine Menge Geld in Film investieren, auch eine Menge Geld daran verdienen können.

Wir Filmemacher sind am künstlerischen Aspekt des Filmes interessiert. Die anderen interessieren nur die Finanzen. Das verstehe ich, das ist deren Job. Die Filme, die früher gemacht wurden, würde heute niemand mehr finanziert bekommen. Die würden nicht genügend einbringen. Sie wären zwar profitabel, aber nicht profitabel genug. Die Industrie hat sich dahingehend verändert, welche Art Filme gemacht werden. Die schiere Anzahl an Filmen pro Jahr hat sich verändert.

Und sie werden so präsentiert, dass ein paar Freunde, ein Ehepaar zu Hause oder jemand allein zu Hause auf dem Sofa auf einen Knopf der Fernbedienung drückt, wenn er einen Film sehen will. Die Erfahrung, wie ein Film gesehen wird, hat sich grundlegend verändert, als wir noch nach der Kino-Vorführung zusammenstanden und über den Film sprachen. Das war so ähnlich wie im Theater. Jetzt ist es intimer geworden, aber für mich ist es grundlegend anders als früher.

Wie schwer hat es sich für Sie als jemand mit 50 Filmen im Kino gestaltet, diesen aktuellen Film zu finanzieren?

Allen: Ich werde immer wieder gefragt, welcher ist der schwierigste Teil beim Filmemachen? Ich sage dann immer: "Es ist nicht der Schnitt, es sind nicht die Kameraeinstellungen, es ist nicht das Schreiben … Es ist die Finanzierung. Das ist das große Problem." Ich habe dieses Problem immer gehabt und daran hat sich heute nichts geändert. Dabei haben meine Filme wirklich keine teuren Produktionskosten. Aber selbst kleine Summen kriege ich nur schwer finanziert. Daher ist es sehr schwer für diese talentierten jungen Leute, die eine Menge zu erzählen haben, die viel zum Kino beitragen können, ihre Projekte finanziert zu bekommen. Ich sage immer, das ist der schmerzlichste, schwierigste Teil am Filmemachen. Ob man jung ist - oder so alt wie ich und schon 50 Filme vorweisen kann. Ich habe immer kämpfen müssen, um die Finanzierung zusammenzubekommen. Immer.

Das Interview führte Benedikt Scheper.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 15.04.2024 | 22:45 Uhr

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