Süchtig nach Krieg? Wie ein Filmgenre unser Verständnis prägt
Kriegsfilme sind gewaltig, verstörend, oft umstritten. Sie erzählen vom Schrecken der Schlacht, von Kameradschaft und Heldenmut, aber auch von moralischen Abgründen - und sie formen unser Verständnis von Krieg in all seinen Facetten.
"Saving Private Ryan - Der Soldat James Ryan" ist ein Film, der 1998 für viele das Kriegsfilm-Genre neu definiert hat. Er zeigt die berühmte Landung der Alliierten in der Normandie, den D-Day, fast 30 Minuten lang als brutales, chaotisches Inferno.
Spielberg macht den Krieg spürbar
Regisseur Steven Spielberg verzichtet hier fast völlig auf Musik. Der Lärm, das Wanken der Kamera - es ist ein Versuch, den Krieg nicht nur zu zeigen, sondern spürbar zu machen.
Ähnlich intensiv, aber mit einem ganz anderen filmischen Ansatz, setzt Sam Mendes in "1917" den Krieg in Szene. Der Film wirkt wie eine einzige lange Kameraeinstellung - keine Schnitte, kein Entkommen. Man ist mittendrin.
Ethische Fragestellungen und Grenzsituationen
Doch Kriegsfilme sind mehr als nur ein visuelles Spektakel, erklärt der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger: "Der Kriegsfilm behandelt sehr oft ethische Fragestellungen, also ganz grundsätzlich Grenzsituationen, in die Personen gebracht werden, wo sie Entscheidungen treffen müssen, wo sie sich für oder gegen bestimmte Handlungsweisen entscheiden müssen."
Schon Stanley Kubricks "Wege zum Ruhm" von 1957 zeigt, dass die Entscheidung über Leben und Tod nicht nur auf dem Schlachtfeld getroffen wird. Sein Film erzählt von französischen Soldaten, die für eine gescheiterte Offensive als Sündenböcke hingerichtet werden.
Colonel Dex, Sie werden sich sofort entschuldigen oder ich stelle Sie unter Arrest.
Ich entschuldige mich, Ihnen nicht früher gesagt zu haben, dass Sie ein sadistischer, seniler, alter Mann sind. Und Sie können zur Hölle fahren, bevor ich mich bei Ihnen noch ein einziges Mal entschuldige!
Dialog aus "Wege zum Ruhm" von Stanley Kubrick
Die Anfänge des Genres liegen, nach Auskunft von Filmwissenschaftler Markus Stiglegger, im Beginn der Filmproduktion, also Ende des 19 Jahrhunderts. "Man hat sehr früh angefangen, erst fotografisch und dann auch filmische Dokumente von kriegerischen Auseinandersetzungen aufzunehmen." Mit dem Ersten Weltkrieg habe dann im Grunde auch die Geschichte des Kriegsspielfilms begonnen.
Seitdem hat sich der Kriegsfilm immer weiterentwickelt. Besonders der Vietnamkrieg hat das Genre verändert. "Platoon", "Full Metal Jacket" oder "Apocalypse Now" erzählen von Dschungelkämpfen, von Männern, die sich selbst verlieren. Von einem Krieg, der seine Soldaten in den Wahnsinn treibt.
Riechst du das?
Was?
Napalm, mein Junge. Es gibt nichts auf der Welt, das so riecht. Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen. Weißt du, einmal haben wir einen Hügel bombardiert. Der ganze Hügel – ja, wie roch er? Wie nach Sieg roch er.
Dialog aus "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola
Ideologisch oft indifferent

Aber ist ein Kriegsfilm automatisch ein Antikriegsfilm? "Man findet tatsächlich Filme, die sich sehr bewusst gegen bestimmte Kriegshandlungen aussprechen. Filme wie 'Im Westen nichts Neues'. Diese Filme sind relativ selten", sagt Marcus Stiglegger. Man sei erstaunt, wie indifferent eine ganze Reihe von Kriegsfilmen ideologisch mit ihrem Thema umgingen.
Die relativ wenigen deutschen Kriegsfilme haben meist keinen heroischen, sondern einen desillusionierenden Blick auf den Krieg: Wolfgang Petersens "Das Boot" zeigt die klaustrophobische Enge eines deutschen U-Boots. Keine großen Schlachten, nur Angst, Warten, Wasserbomben. Das U-Boot als Sinnbild für den sinnlosen Wahnsinn. Und in Joseph Vilsmaiers "Stalingrad" gibt es keine Helden, sondern nur Soldaten, die im Schneematsch erfrieren, während die Front zusammenbricht.
Kritischer Blick aus der DDR
Auch die DEFA, die staatliche Filmgesellschaft der DDR, setzte sich intensiv mit dem Zweiten Weltkrieg auseinander – oft aus einer antifaschistischen Perspektive. Frank Beyers Film "Ich war 19" (1968) erzählt die autobiografisch geprägte Geschichte eines jungen Deutschen, der als Soldat der Roten Armee in die Heimat zurückkehrt und die letzten Kriegstage erlebt.
Konrad Wolfs "Die Russen kommen" (1968, aber erst 1987 uraufgeführt) schildert die Begegnung eines Hitlerjungen mit der Realität des Krieges - ein Film, der wegen seiner kritischen Haltung zur NS-Ideologie jahrelang verboten war.
Besonders bekannt ist auch "Die Abenteuer des Werner Holt" (1965) von Joachim Kunert, der die Verführung junger Männer durch den Nationalsozialismus und deren schrittweises Erwachen aus der Kriegsbegeisterung thematisiert. Diese Filme zeichnen ein differenziertes Bild von Schuld, Verantwortung und den Folgen des Krieges.
Krieg als sinnloses Unterfangen für junge Soldaten
Ein zentraler Film aus norddeutscher Sicht ist "Die Brücke" (1959) von Bernhard Wicki. Der eindringliche Antikriegsfilm erzählt die tragische Geschichte jugendlicher Soldaten, die am Ende des Zweiten Weltkriegs eine Brücke verteidigen - ein sinnloses Unterfangen, das ihr Leben fordert.
Wickis Film war nicht nur ein Meilenstein des deutschen Nachkriegskinos, sondern gewann auch internationale Anerkennung. Ihm zu Ehren wird seit 2008 jährlich der "Bernhard-Wicki-Preis - Die Brücke" beim Filmfest Emden-Norderney verliehen. Ausgezeichnet werden Filme, die sich für Frieden, Verständigung und die kritische Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt einsetzen - ein Vermächtnis, das Wickis Werk bis heute lebendig hält.
Ein Ereignis, zwei Blickwinkel
Wie unterschiedlich der Blick auf dieselbe Schlacht ausfallen kann, hat Clint Eastwood mit seinen Filmen über die japanische Insel Iwo Jima eindrücklich reflektiert. "Flags of Our Fathers" zeigt die amerikanische Perspektive:
Wie Kriegshelden, die nach Hause zurückkehren, zu Symbolen werden. In "Letters from Iwo Jima" sehen wir die Schlacht dagegen durch die Augen japanischer Soldaten - und nehmen Anteil an ihrem aussichtslosen Schicksal.
Krieg als Sucht
Ein moderner Kriegsfilm, der sich mit der psychologischen Wirkung des Krieges auseinandersetzt, ist "The Hurt Locker" (2008) von Kathryn Bigelow. Hier geht es nicht um eine große Schlacht, sondern um einen Bombenentschärfer, der süchtig nach der Anspannung des Krieges wird.
Wie viele Bomben haben Sie schon entschärft?
873.
ACHTHUNDERTDREIUNDSIEBZIG? Das ist verdammt geile Scheiße.
Dialog aus "The Hurt Locker" von Kathryn Biegelow
All diese Beispiele zeigen, wie vielfältig Kriegsfilme sind. Sie können Historie rekonstruieren, den Wahnsinn offenlegen oder die menschliche Faszination für Krieg hinterfragen. Sie formen unser Verständnis von Krieg, oft mehr als Geschichtsbücher es tun. Und genau das macht sie so bedeutsam.
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