Regisseur Lars Jessen über seine Komödie "Micha denkt groß"
Nach dem Roadmovie "Für immer Sommer 90" haben Lars Jessen, Jan Georg Schütte und Charly Hübner in "Micha denkt groß" wieder zusammengearbeitet. Die Arbeit am Film sei dabei "fächerübergreifend", wie Regisseur Lars Jessen im Interview mit NDR Kultur sagt.
Die Impro-Komödie "Micha denkt groß" über einen im Westen reich gewordenen Rückkehrer, der in seinem ostdeutschen Heimatdorf mit einer Wellness-Oase die Zukunft gestalten will, setzt auf die Spielfreude ihres Ensembles. Die Komödie lief im August im Kino -das Filmteam begleitete viele Termine in ganz Deutschland.Nun steht der Film in der ARD Mediathek - bis zum 1. November 2025. Der Kieler Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Lars Jessen verrät im Gespräch, wie das Team gedreht, recherchiert und reüssiert habe.
Sie haben in Sachsen-Anhalt mit vielen Menschen vor Ort gesprochen...
Lars Jessen: Das Interessante ist, dass wir zunächst auf eine ziemliche Reserviertheit gestoßen sind. Ich spürte da als Filmemacher eine große Angst, dass wir als Filmleute hinkommen und die Leute - auf Deutsch gesagt - verarschen. Daher brauchten wir eine gewisse Anlaufzeit, um Vertrauen aufzubauen. Das ist dann aber schnell umgeschlagen in eine große Zuneigung, eine Kollegialität und respektvolle Art, miteinander umzugehen.
Im Film - und in der Realität - herrscht vor Ort Wasserknappheit. Die fiktiven Figuren spiegeln eine ganze Palette politischer Orientierungen: vom AfD-Bauern über den Öko-Schäfer bis zur linken Masseurin. Haben Sie genau solche Leute dort auch getroffen, oder wurde aus einer Vorstellung ein Abbild gewissermaßen geformt?
Jessen: Wir haben uns vor allem vorab mit soziologischer Literatur beschäftigt. Wir haben geschaut, welche Art von archetypischen Personen es im gesellschaftlichen Diskurs gibt, und haben auf dieser Basis die Figuren gebaut. Insofern ist das ein, wie mein Kollege Jan Georg Schütte es nennt, Gesellschaftsspiel. So haben wir dort gearbeitet, um das dann vor Ort zu überprüfen. Das heißt, wir haben eine Masseurin, mehrere Bauern und einige Game-Designer getroffen. Wir haben also erst eine Theorie entworfen und die dann in der Wirklichkeit verifiziert.
Es gibt also vorab ein Drehbuch, aber nicht alles ist bekannt?
Jessen: Es gibt erstmal ein Drehbuch ohne Dialoge, das ist so 45 bis 50 Seiten lang, das die Schauspielerinnen und Schauspieler aber nicht kennen. Wir drehen Szene für Szene, chronologisch, was man beim Film normalerweise auch nicht macht. Dann entwickelt man quasi aus dem Ende der vorherigen Szene den Anfang für die nächste. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bekommen von uns Spielaufgaben und spielen auf diese Art und Weise immer nur die Situation - und dadurch eigentlich unbewusst das, was wir uns vorher im Drehbuch ausgedacht haben.
Das Team ist buchstäblich extrem gut eingespielt. Hat das beim Dreh dann schon so etwas Familiäres - und ist das Vor- oder Nachteil?
Jessen: Wir suchen oft nach einem Begriff für das, was wir sind: "Kollegen" trifft es nicht richtig, und "Freunde", das würde zu sehr vom persönlichen in den beruflichen Bereich reinreichen. Mir ist eigentlich nur der Begriff "Kollektiv" hängengeblieben, auch wenn er so ein bisschen wie 70er-Jahre-Wohngemeinschaft klingt.
Denn wir machen mit einem großen Vertrauen zueinander auch fächerübergreifende Arbeit: Der Schauspieler arbeitet am Buch mit, und der Regisseur spielt selber als Schauspieler mit. Wir haben alle verschiedenste Mischformen unserer beruflichen Existenz bei diesen Projekten und gönnen der anderen Person immer "die Butter auf'm Brot". Weil wir durch die lange Zusammenarbeit gelernt haben, dass es gemeinsam besser geht als einzeln.
In diesen "multikrisenhaften Zeiten", wie Sie gern sagen, können wir die Probleme auch nur zusammen lösen? Der Film bietet da auch einiges an Resignation ...
Jessen: Das Erste ist: Ehrlich hingucken - wo stehen wir als Menschheit in dieser Zeit? Wir versuchen nicht mehr von "Klimakrise" zu sprechen, sondern es ist eher eine Krise, die von der Existenz der Menschen auf diesem Planeten handelt. Deshalb sind Begriffe wie "Klima" eigentlich nicht so geeignet, weil man immer das Gefühl hat, dass das so etwas Altruistisches ist, was mich nicht so angeht. Naja, es ist halt ein bisschen wärmer, aber, wenn man so will, geht es um Menschenschutz oder auch um Selbstschutz.
Deswegen gibt es nicht diese eine Lösung, den Helden, der eine Maschine erfindet, die den Drachen tötet. Deswegen ist unser Ansatz: "Lass uns jetzt mal ehrlich darüber reden, wo wir stehen. Lass uns symbolisch die Kiste Bier gesellschaftlich auf den Tisch stellen und ehrlich miteinander sprechen, wie wir das lösen können." Aber die Vorstellung, dass wir als Filmemacher eine Lösung präsentieren, und die Menschen, die das gut finden, es kopieren, würde viel zu kurz greifen und das Problem verharmlosen.
Gab es einen persönlichen Beweggrund oder ein Schlüsselerlebnis für die Beschäftigung mit dem Thema?
Jessen: Ich habe ein paar Apfelbäume bei mir im Garten gepflanzt, wo mir der Verkäufer gesagt hat, dass ich eigentlich nichts machen müsse, das seien alte Obstsorten, die fänden sich in dem Klima super zurecht. Aber ich musste sie drei Jahre lang gießen! Da ist mir klar geworden: Das funktioniert nicht mehr alles so einfach wie früher.
Ich kennen viele Leute, die in Lüneburg leben, wo Coca-Cola das Trinkwasser für kommerzielle Zwecke nutzt. Wir dachten immer, Trinkwasser haben wir genug, dann können die da ruhig etwas für kommerzielle Zwecke abzapfen. Aber das Bewusstsein, dass das eine Ressource ist, die nicht endlos zur Verfügung steht, sehen wir an vielen Stellen. Deswegen gibt es sehr viele auslösende Ereignisse, die wir gesehen haben. Wenn man mit dem Zug durch Deutschland fährt und mal in die Baumkronen schaut, wie sich der Zustand der Wälder in den letzten zwei drei Jahren verändert hat; wenn man einmal im Harz war, sieht man an vielen Stellen die Einschläge.
Da finde ich die Trockenheit einen nachvollziehbareren Fakt, als wenn man sagt, "das 1,5-Grad-Ziel ist gerissen". Was soll das denn heißen? Aber die Wasserkreisläufe gehen auseinander, und wir hätten genauso gut einen Film über Hochwasser machen können. Das sind zwei Seiten derselben Medaille.
Das Interview führte Bettina Peulecke.