"Nachtzug nach Lissabon": Jeremy Irons über spukende Geister
Er hat mit Louis Malle und David Cronenberg zusammengearbeitet, stets kontroverse Rollen gespielt. 20 Jahre nach der Verfilmung von Isabel Allendes Roman "Das Geisterhaus" drehte Jeremy Irons 2013 erneut mit Regisseur Bille August in Portugal.
Der Brite Irons sprach 2013 im Gespräch mit NDR.de in Hamburg über "Nachtzug nach Lissabon", die Verfilmung des Bestsellers von Pascal Mercier, in der er einen Berner Professor spielt, der Hals über Kopf nach Portugal aufbricht. Er spricht über seine wiederholten Dreharbeiten in Portugal, den Charme von Lissabon, darüber, wie es vielleicht in seinem eigenen Schloss spukt und wie sich das Filmbusiness seit seinem Oscargewinn 1991 verändert hat. Er meint, Schauspieler heutzutage müssten auch "Verkäufer" sein.
Herr Irons, Ihre Figur Reimund Gregorius sagt, dass er von dem Buch, das er von einer seltsamen Fremden erhält, von den Worten des Autors tief berührt wird. Wie ging es Ihnen, als Sie das Drehbuch und den Roman "Nachtzug nach Lissabon" gelesen haben?
Jeremy Irons: Ich habe den Roman erst gelesen, nachdem mir das Drehbuch angeboten wurde. Mit dem Roman hat man den Luxus, dass er den Inhalt aus dem Drehbuch erweitert. Ich war davon hingerissen. Während ich es gelesen habe, sagten mir so viele Leute, "oh, das ist mein absolutes Lieblingsbuch." Es handelt von etwas, das sich die meisten von uns unterbewusst fragen: "Könnte ich gerade etwas anderes tun? Gibt es ein anderes Leben für mich? Wie wichtig ist mein Leben?" Ich war sehr berührt vom Buch. Dann fuhr ich nach Lissabon und fing an, den portugiesischen Autor Fernando Pessoa zu lesen. Viel von seiner Philosophie steckt in "Nachtzug nach Lissabon".
Haben Sie, wie Ihre Figur jemals gedacht, dass Sie spontan Ihr Leben ändern müssen?
Irons: Ich führe ein ganz anderes Leben als Reimund Gregorius. Auf eine Art steige ich jedes Mal in den Nachtzug nach Lissabon, wenn ich aufbreche, um einen Film zu drehen. Ich fahre woanders hin, recherchiere für meine jeweilige Rolle. Wenn ich eine historische Figur spiele, die vor nicht allzu langer Zeit gelebt hat, suche ich nach Zeitzeugen, die diese kannten. So wie Gregorius mehr über den Autor des gefundenen Buches herausfinden will, das ihn so sehr beschäftigt, würde ich auch handeln, um eine Rolle zu erschaffen.
Gregorius hingegen ist aus der Schweiz, eine Nation, die keine Erdbeben kennt und mit Sicherheit noch nie über eine Revolution nachgedacht hat - ganz anders als Lissabon. Der Professor unterrichtet Linguistik als Lebensjob. Ein Mann, der mit jedem neuen Studentenjahrgang seine Arbeit Jahr für Jahr wiederholt. Für ihn ist der Aufbruch ein riesiger Schritt.
Haben Sie sich für diese Rolle eine neue Gangart zugelegt?
Irons: Man muss für jede Rolle herausfinden, wie es sich anfühlt, dieser Mensch zu sein. Das wirkt sich auf alles bei dieser Figur aus: Wie man spricht, wie man guckt, wie man läuft, wie man denkt, wie man im Bett liegt. Das ist es, woraus Schauspiel besteht.
Sie waren bereits mit Regisseur Bille August in Portugal für den Dreh von Isabel Allendes "Das Geisterhaus", diese Romanverfilmung von Pascal Mercier wurde auch dort gedreht. Wie hat sich Lissabon seither verändert?
Irons: Wir haben "Das Geisterhaus" im Alentejo gedreht. Das ist südlich von Lissabon. Eine sehr arme Gegend, mit Korkanbau und einfacher Landwirtschaft. Diese Gegend ist jetzt ein attraktives Naherholungsgebiet geworden. In Lissabon habe ich fürs Geisterhaus ungefähr eine Woche gelebt, in einem Viertel aus dem 19. Jahrhundert. Damals hatte ich nicht viel Zeit, die Gegend zu erkunden.
Dieses Mal war ich im alten Teil Lissabons und habe eine neue Stadt entdeckt. Eine Stadt, die eine ähnliche Anziehungskraft hat, wie San Salvador Bahia in Brasilien. Als ich dort war, sah ich Verfall, Leute, die in vermodernden Gebäuden leben. Anders als in London, wo in kompletten Gegenden niemand lebt. Im alten Lissabon leben die Bewohner seit langer Zeit. Es ist sehr romantisch, durch diese Straßen zu laufen. Ich habe wunderbare Leute getroffen, ich schätze Portugiesen sehr. Ich mag ihre Lebensart.
... verglichen mit der der Briten?
Irons: Na ja, ich bin Brite und man nimmt seine eigene Nationalität als selbstverständlich wahr. Man sieht nicht ihre Qualitäten, aber die Vorteile anderenorts. Ich habe mich gerade im Hamburger Hafen umgeschaut. Ich bin so beeindruckt und so neidisch darauf. In London haben wir keinen Hafen mehr, dabei war es eine Hafenstadt und eine Handelsstadt. Der Hafen besteht jetzt aus großen Gewerbeflächen oder Luxusappartments. Man fühlt in Hamburg, dass der Hafen ein großer Motor ist, der die Stadt antreibt. Das ist sehr aufregend.
In beiden Filmen von Bille August, die Sie in Lissabon gedreht haben, spielen Geister eine Rolle. Haben Sie auch Geister in Ihrem eigenen Schloss in England?
Irons: (lacht) Ich bin mir dessen nicht bewusst. Jemand hat gesagt, dass er die Gegenwart des Geistes einer trauernden Frau spürt. Als das Schloss im Jahr 1600 besetzt war, gab es in der Tat eine Familie mit drei Töchtern dort, die MacCarthys. Die Söhne waren im Krieg, die Schwestern blieben zurück und wanderten später nach Sizilien aus. Ich fühle im Schloss sehr deutlich Geister. Sie sind die Geister des Hauses und wenn man dort hinkommt, ist man ein Eindringling und sie testen einen, ob man dieses Haus verdient hat. Mich haben sie akzeptiert, denke ich.
Stimmen Sie dem zu, dass der Film nicht nur ein Roadmovie einer Reise nach Lissabon ist, sondern auch eine Reise ins Innere des Professors?
Irons: Oh ja, auf jeden Fall. Er lernt sich selbst kennen. Die Dinge werden klarer für ihn.
Wie war die Weltpremiere von "Nachtzug" bei der Berlinale für Sie?
Irons: Ich war daran interessiert, den Film mit Publikum zu erleben, um die Qualität ihres Schweigens zu fühlen. Das war toll. Ich hatte den Film zuvor nur in einem kleinen Vorführraum gesehen. Der Rest bestand daraus, viele Fragen zu beantworten.
Sie wirken sehr geduldig, beantworten ausgiebig die Fragen.
Irons: Man braucht Geduld. Das Business hat sich mittlerweile dahingehend verändert, dass man das Produkt Film verkaufen muss. Es gibt eine derartige Konkurrenz, besonders von Filmen mit Riesenbudgets vor allem fürs Marketing, das wir nicht haben. Daher finde ich es ist wichtig, den Film zu begleiten.
Die Dinge haben sich massiv verändert. Nehmen Sie ein Beispiel: Als ich 1991 einen Oscar gewonnen habe, habe ich einen Film gedreht, flog nach New York und bin bei der Comedy-Show "Saturday Night Live" aufgetreten, flog in der Nacht vor den Oscars nach Los Angeles und ging dann zur Verleihung. Heute gehen Schauspieler teils monatelang auf Tour, um ihren Film zu verkaufen, um ihn für eine Oscar-Kampagne zu puschen. Wir müssen als Schauspieler heute auch Verkäufer sein.
Ist der kürzliche Rücktritt des Papstes Benedikt vielleicht eine Art unfreiwillige Publicity für Ihre Fernsehserie "Die Borgias" von 2012, in der Sie Papst Rodrigo Borgia spielen?
Irons: Ha, ob das einen Unterschied macht, glaube ich nicht. Vielleicht. Vielleicht fokussiert er die Menschen auf den Papst. Ob Rodrigo Borgia zurücktritt, bleibt noch abzuwarten. (lacht) Ich glaube nicht, dass er die Macht abgibt. Viele Menschen versuchen, ihn zum Abdanken zu bringen.
Zurück zum Film. In einer romantischen letzten Szene fragt die Augenärztin den Professor am Zug nach Bern, ob Gregorius nicht bleiben wolle. Als Sie das im Skript gelesen haben, was haben Sie da gehofft?
Irons: Oh, er muss natürlich in Lissabon bleiben. Wohin soll er denn zurückkehren? Zu einem gekochten Ei und einem alten Teebeutel? Nein, nein.
"Nachtzug nach Lissabon" startete am 7. März 2013. Die Fragen stellte Patricia Batlle, NDR.de