Gisela Tuchtenhagen wird 80: Pionierin hinter der Kamera
Gisela Tuchtenhagen war eine der ersten Dokumentarfilm-Kamerafrauen der BRD und im NDR. Sie gilt als Institution im deutschen Dokumentarfilmbereich. Ein Porträt über eine Frau in einem Job, der bis heute als Männerdomäne gilt.
Emden 1975, das Hallenbüro des Betriebsrates im VW Werk Emden. Eine Männerrunde, es sind Arbeiter, diskutiert die Lage des Betriebs:
- Wir haben vor einem halben Jahr darüber gesprochen, dass wir was unternehmen müssen
- Da wurde gesagt beruhigt euch, Mann
- jetzt halbes Jahr später: Die Leute sind alle raus hier
1976 hat die Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen gemeinsam mit Klaus Wildenhahn für den NDR die Dokumentation "Emden geht nach USA" gedreht. Es geht um die kritische Lage des Volkswagen-Werks Emden aus Sicht der Werksarbeiter. Der erste Teil wird mit dem Grimmepreis ausgezeichnet. Der NDR zeigt die Dokumentation und vier weitere Klassiker im Rahmen einer Werkschau, in denen Tuchtenhagen für Buch und Regie verantwortlich war oder die Kamera geführt hat.
Gisela Tuchtenhagen: Lange die einzige Kamerafrau Deutschlands
Tuchtenhagen war nicht nur bei den Dreharbeiten zu diesem Film meist die einzige Frau vor Ort, sie war auch die erste und lange einzige Kamerafrau Deutschlands. Geprägt hat sie vor allem die Zusammenarbeit mit Klaus Wildenhahn. Kennengelernt hat sie ihn an der Filmkademie, wo er ihr Dozent war: "Dann sehe ich die Dokumentarfilme von Klaus Wildenhahn und einfach hin und weg. Es hat sich für mich so was ganz Neues aufgetan, wo ich unbedingt das Geheimnis wissen wollte, warum sind diese Filme so wahnsinnig gut?", erzählt sie.
Es sollte sich später zeigen, in der Zusammenarbeit mit Wildenhahn, dass Gisela Tuchtenhagen diesem Geheimnis auf die Spur gekommen ist. "Ich spreche jetzt nur in der Arbeit selber, wie wir zusammengearbeitet habe, war das ein Gleichklang."
1970er-Jahre: Stilbildend für Fernsehdokumentarfilm
Durch Tuchtenhagens Arbeit wurde der NDR in den 1970er-Jahren stilbildend für das Genre des Fernsehdokumentarfilms. Diese Art der Filmgestaltung beeinflusst viele Filmemacher*innen bis heute. Vor allem zeichnet ihre Geduld bei der Kameraführung ihre Arbeit aus, so hat sie Situationen eingefangen, die anderen vielleicht verborgen geblieben werden: "Immer, wenn es langweilig wurde, habe ich in dem Sinne die schönsten Bilder gemacht."
Durfte sie einmal nicht filmen, haben sich Menschen ihr danach geöffnet. Gisela Tuchtenhagen hat es immer als großes Glück empfunden, diese Arbeit machen zu dürfen. "Anscheinend ist das auch eine Art, die mir einfach liegt. Es ist eine Sprache, und es ist ein Ausdruck. Und ich finde, es ist ein sehr lebendiger künstlerischer Ausdruck, und das hat mich jedenfalls mein ganzes Berufsleben getragen. Ich bin ja nie fremd gegangen."
Keine weiblichen Vorbilder: "Alles sehr unterbelichtet"
Und das lange Zeit als einzige Frau weit und breit. Weibliche Vorbilder? Fehlanzeige! "Nein, also jedenfalls wusste ich von ihnen nichts." Es sei nicht so gewesen, dass auf Frauen ein Augenmerk gerichtet gewesen sei. "Das war mit den Frauen alles sehr unterbelichtet. In der Beziehung war ich auch lange in der Bundesrepublik die einzige Kamerafrau."
Reich ist sie vielleicht nicht geworden durch ihren Beruf, aber darum ging es ihr nie. Zwar war sie in den 70er-Jahren die erste Frau auf der Titelseite der Fachzeitschrift "Der Kameramann". Aber eine wirkliche Bedeutung hatte für sie immer nur ihre wirkliche Arbeit: "Man verdient nicht dabei. Das ist so eine Freude, das machen zu dürfen, ein Geschenk, was ich für dieses Leben bekommen habe."