"Gipsy Queen": Realistisches Sozialdrama im NDR Fernsehen
"Gipsy Queen" ist das Porträt einer alleinerziehenden jungen Mutter, die sich auf dem Hamburger Kiez als Boxerin im wahrsten Sinne durchschlägt. Das Drama lief am Montag im NDR Fernsehen.
Hauptdarstellerin Alina Serban war für den Deutschen Filmpreis nominiert. Der Spielfilm steht noch bis zum 8. November 2023 in der ARD Mediathek.
Alina Serdan: Im Affenkostüm in den Ring
Als Kämpferin geboren, zur Verliererin verdammt - das scheint das Schicksal von Ali zu sein. Als Mitglied einer stolzen Roma-Familie in Rumänien aufgewachsen und von ihrem Vater zur Boxerin trainiert, ist sie in Hamburg gestrandet. Hier muss sie allein für ihre beiden Kinder Esmeralda und Mateo sorgen und dafür jeden Job annehmen, den sie kriegen kann - als Zimmermädchen oder Putzkraft, immer zum Hungerlohn, jederzeit kündbar. In dieser duldsam arbeitenden Frau aber schlägt das Herz einer Boxerin. Das zeigt sich, als sie eines Nachts in der legendären "Ritze" auf St. Pauli saubermacht und im Keller den Box-Ring erblickt, der nachts für Show-Kämpfe, tagsüber zum Trainieren genutzt wird. Für einen Moment vergisst sie die leeren Gläser und vollen Aschenbecher.
Der Chef des Kult-Lokals, im Film ein abgehalfterter Box-Trainer namens Tanne (Tobias Moretti) wird dadurch auf sie aufmerksam: "Hey du, bist du Boxer? Und, warst du Profi? Wie viele Kämpfe?" - "Sechs." - "Alle gewonnen? Wie heißt du denn?" - "Ali." - "Haha, Ali, das macht Sinn." Tanne lässt Ali kostenlos trainieren, sie steigt dafür im Affenkostüm für ihn in den Ring und macht ahnungslose männliche Herausforderer platt. Sieht aus, als könnte sie ihr Box-Talent nun tatsächlich nutzen, um ihre Familie zu ernähren, vielleicht auch wieder richtige Kämpfe austragen.
"Gipsy Queen": Keine weibliche "Rocky"-Variante
"Gipsy Queen" ist aber keine weibliche "Rocky"-Variante. Dafür fehlt Regisseur Hüseyin Tabak der romantische Blick auf die Welt. In seinem gnadenlos realistischen Sozialdrama muss die tapfere Ali immer wieder Rückschläge einstecken. Denn: Wer einmal unten auf der sozialen Leiter steht, kommt so schnell nicht wieder hoch. Jobs verliert sie, wenn sie den abgemachten Lohn dafür einfordert. Lässt sie sich aus purer Not als Tagelöhnerin schwarz für Bauarbeiten anheuern, kommt garantiert die Polizei vorbei. Und eine Nachtschicht, für die sie die Kinder allein lassen muss, bringt ihr Ärger mit dem Jugendamt ein.
Tobias Moretti als starkes Pendant
Man hat großes Mitgefühl mit dieser zähen Kämpferin, der man ein bisschen Glück so sehr gönnen würde. Alina Serban spielt sie absolut authentisch, weil sie selbst Roma ist und diese Lebensgeschichten und die Vorurteile kennt. Mit Tobias Moretti hat sie ein starkes Pendant im Film. Ganz behutsam deutet er die väterlichen Gefühle an, die der verlebte Reeperbahn-Typ für die junge Boxerin entwickelt. Und dabei nimmt man dem geborenen Österreicher sogar den St.-Pauli-Zungenschlag ab.
Es gibt in "Gipsy Queen" auch Licht neben viel Schatten: Immerhin hat Ali eine wunderbare Mitbewohnerin und Freundin, die sich liebevoll mit um ihre Kinder kümmert. Auf der anderen Seite zeigt der Film, was Malochen im Billig-Lohn-Sektor heißt. Dass eine Frau, die so rackert für einen Platz in dieser Gesellschaft, solche K.O.-Schläge bekommt, ist schwer erträglich. Ein Film, der mit voller Wucht ins Herz trifft.
Gipsy Queen
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2019
- Produktionsland:
- Deutschland, Österreich
- Zusatzinfo:
- mit Alina Serban, Tobias Moretti, Irina Kurbanova, Catrin Striebeck
- Regie:
- Hüseyin Tabak
- Länge:
- 117 Min.
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 25. Juni 2020