Christian Petzold über "Undine": "Wie Ballett unter Wasser"
Mit dem Liebesfilm "Undine" hatte der Regisseur Christian Petzold 2020 an der Berlinale teilgenommen und danach über sein Filmpaar gesprochen: über Paula Beer und Franz Rogowski.
2020 ist Petzold 60 Jahre alt geworden - und hat bis kurz vor seinem runden Geburtstag mit Cate Blanchett und weiteren Künstlerinnen und Künstlern im Wettbewerb der Filmjury von Venedig mit über die Löwenvergabe mit entschieden. Der Goldene Löwe ging an das US-Drama "Nomadland" mit Frances McDormand.
Im Februar 2020 hat Regisseur und Autor Christian Petzold mit seiner modernen Version des Mythos "Undine" zum fünften Mal am Wettbewerb der Berliner Festspiele teilgenommen. Seine Hauptdarstellerin Paula Beer hat für ihre Titelrolle der Undine den Silbernen Bären als beste Schauspielerin erhalten.
Zum zweiten Mal in Folge nach dem NS-Drama "Transit" spielte sie damit an der Seite von Franz Rogowski in einem Petzold-Film mit. Der Filmemacher traf sich ursprünglich unmittelbar nach der Weltpremiere zum Gespräch mit NDR Kultur. Daher ist die Corona-Krise nicht Thema des Interviews, dafür die starke Präsenz seiner beiden Hauptdarsteller, die Bedeutung der Stadt Berlin für den Film "Undine" und Petzolds erste und wohl einzige Sex-Szene seiner Filmografie.f
Wie sind Sie auf den Mythos Undine als Grundlage für Ihren märchenhaften Film gekommen?
Christian Petzold: Ich habe schon am Anfang des Jahrtausends die Anfangsszene für "Undine" geschrieben. Zunächst für einen Kurzfilm und zwar nur diese Dialogsätze der Gestalt Undine: "Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten." Es hat mir damals so viel Freude gemacht, diesen Satz zu schreiben, im Kontrast zu diesen Wischi-Waschi-Lieben, die es so gibt, wo man so sagt: "Ja, lass uns trennen." Ein Freund von mir war schon acht Jahre mit einer Frau zusammen, hat eine andere kennengelernt und er hat beide zum Essen eingeladen, damit sie sich mal kennenlernen. Das ist das Negieren von Konflikten! Das ist eine feige Sau, muss man sagen.
Dann hatte ich den Vorgängerfilm "Transit" gedreht, zum ersten Mal mit den Schauspielern Franz Rogowski und Paula Beer. Die kannten sich untereinander auch nicht. Ich habe noch nie zwei Schauspieler gehabt, die in so einer Jugendlichkeit zusammen tanzen konnten. Vom ersten Moment an war es so: Wenn die nebeneinander gegangen sind oder sich gekreuzt haben, wirkte das, als ob das jahrzehntelang von Pina Bausch choreografiert worden wäre. Da war so eine Leichtigkeit. Ich war sehr glücklich darüber, dann auch traurig, dass wir das bald beenden. Beim letzten Drehtag für "Transit" saßen wir in einer Pizzeria, die wir in Marseille nachgebaut haben. Dort habe ich Franz und Paula diese alten Dialogsätze erzählt und improvisiert, wie die Geschichte weitergehen könnte. Die speiste sich natürlich aus dem Schicksal, die die beiden Figuren in "Transit" haben, nämlich, dass sie ertrinkt und er am Ufer auf sie wartet. Dann habe ich gedacht, "das ist ja genau die richtige Geschichte". Denn in meiner Version von "Undine" geht Christoph als Industrietaucher ins Wasser, um die Liebe dort zu suchen. Und Undine geht ans Ufer, um die Liebe dort zu finden. Und dieses Mal begegnen sie sich und haben eine Geschichte.
Sie haben mehrere fantastische Unterwasserszenen im Film. Wie war die Arbeit an diesem besonderen Set?
Petzold: Wir haben die Unterwasserszenen alle in der ersten Woche gedreht. Die beiden waren jeden Tag unter Wasser, das Wasser hatte 37 Grad, damit sie länger drin bleiben können. Ich war noch nie so weit von Schauspielern entfernt, wie in den Unterwasserszenen, und habe nur oben gesehen, was die beiden dort mit sich anstellten. Ich habe gesehen, wie die sich angucken; wie sie sich an die Hände fassen, sich anschauen; was da für eine Tiefe in den Blicken ist. Die können dort ja nicht sprechen, sondern nur atmen. Und wie das Atmen, diese Bläschen und diese Lautstärke des Atmens, die man ja auch hört, wie das zu einer neuen Form von Gespräch und Liebesdialog führt, der fast wie ein Ballett ist. Diese Art von Tanz, Gleiten, nonverbale Liebe, haben die mit ans Ufer genommen. Wenn Paula und Franz durch die Straßen gehen, wenn sie an den Bahnsteigen schlafen, finde ich, dass sie die ganze Zeit ein bisschen wie unter Wasser sind. Das war eine Liebeserfahrung, wie ich sie mir vorher nicht habe ausdenken können.
Wann wird die Haut so schrumpelig, dass man nicht mehr drehen kann?
Petzold: Nach 35 Minuten ungefähr, bei 37 Grad.
Als wie feministisch sehen Sie Ihren Film "Undine" an?
Petzold: Wenn meine Frau das Gespräch jetzt hört, muss ich aufpassen, was ich antworte. Es gibt so viele Männer, die sagen, sie seien Feministen. Da sind meistens unheimlich viele Idioten dabei. Ich bin ein Mann und mache Männerfilme. Man kann mehr über unsere Welt erfahren, wenn man seinen Standpunkt wechselt. Große Schauspieler wollen in ihre Figur nicht komplett hineinschlüpfen, sondern sie wollen die Welt aus Sicht dieser Figur sehen. Das heißt nicht, dass sie diese Figur sein wollen. In den Tausenden von Filmen, die mir mein Leben bedeuten, wird aus einer Perspektive, die anders ist, ein Blick auf die Welt geworfen. Deshalb würde ich nicht sagen, "Undine" ist ein feministischer Film. Aber der Blick der Frauen auf unsere Welt, wie ich ihn mir vorstelle, ist für mich eine andere Perspektive. Vielleicht schreibt die Frau in mir ein bisschen am Drehbuch mit, aber ich bin nicht die Frau.
Sie haben in der Berlinale-Pressekonferenz erzählt, dass viele Filmleute durch ihre Dreharbeiten die Stadt Berlin kaputt machen. Was genau meinten Sie damit?
Petzold: (lacht), das hat etwas mit Kreuzberg zu tun. Da wird nur noch gedreht, weil Kreuzberg "Hiptown" ist. Die ganze Welt möchte gerne Leute sehen, die da mit einem geilen Fahrrad und einer Freitag-Hipster-Tasche durch Kreuzberg fahren und sich noch einmal verlieben - oder zum ersten Mal oder von ihren Eltern Besuch bekommen. Ich wohne da. An jedem zweiten Tag komme ich an Dreharbeiten vorbei, wenn ich nach Hause gehe. Dann habe ich jedes Mal das Gefühl, dass die Dreharbeiten das, was sie eigentlich drehen wollen, in diesem Moment schon zerstören.
Wir hatten beim Film "Transit" in Marseille die Erfahrung gemacht, oder vorher schon mit Nina Hoss in Wittenberge oder in Hannover für frühere Filme, je weniger wir absperren, je mehr wir die Stadt, wie sie vorhanden ist, Teil der Erzählung und des Bildes werden lassen, umso besser ist es. Bei Filmen in New York hat man immer das Gefühl, die sind auf der Straße gedreht. Die New Yorker wissen zwar, dass sie gedreht werden, das ist ihnen scheißegal. Da wird nicht viel abgesperrt. Ich fahre immer mit den Schauspielern vorher an die Orte, bevor sie Drehorte werden. Wenn wir drehen, versuchen wir uns anständig zu verhalten und nicht diese Gegend abzusperren, neu einzuleuchten und zu einer Fernsehkulisse zu machen.
Wir haben in Berlin am Hauptbahnhof bei "Undine" nur drei Komparsen gehabt, die nicht in die Kamera guckten. Die anderen haben dann auch nicht in die Kamera geguckt, denn dann scheint da nichts Interessantes zu sein. Deshalb brauchten wir den Bahnsteig nicht absperren, brauchten keine 300 Komparsen. Wir sind da mit kleinem, halb verstecktem, Team durchgegangen. Wir mussten nur die zwei Leute, wo wir die Persönlichkeitsrechte nicht hatten, mit digitalen Effekten in den Schatten verlegen. Aber dadurch habe ich das Gefühl, in der Stadt zu sein. Für "Undine" war das sehr wichtig, dass Paula (Beer) und Franz (Rogowski), also Undine und Christoph, eine Liebe haben, die im wirklichen Berlin stattfindet und gleichzeitig nur ihnen beiden gehört. Dass sie wie in einer Wasserblase der Liebe für sich sind, uns nicht brauchen. Dass sie wie auf Wasser durch die Stadt gleiten. Die Leute, die im Hintergrund mit dem Fahrrad fahren, sind alles Angestellte vom Museum. Das ist schön.
Sie erzählen hier lebhaft Geschichten. Wenn man aber Ihre Filme kennt, würde man eher auf einen schweigsamen Autoren tippen. Schreiben Sie bewusst wortkarger, als Sie selbst sind?
Petzold: Na ja, ich mag nicht so geschwätzige Filme und glaube auch, dass nicht alle geschwätzigen Filme von Schwätzern gemacht werden. Ich versuche, meinen Schauspielern und den Leute aus dem Team zwei Tage lang Filme und Fotografien zu zeigen, erzähle ihnen Geschichten, lese ihnen und spiele ihnen Lieder vor - all die Materialien, aus denen die Idee zum Drehbuch entstanden ist. Damit gebe ihn ihnen ein Werkzeug an die Hand. Und dann wird geschwiegen. Dann haue ich ab. Dann arbeiten sie mit diesem Material oder diesem Buch. Die singen sich oder tanzen sich ihre Figur zusammen. Und das ist wunderbar. Ich rede viel, das stimmt schon, da leiden wohl viele Menschen im familiären Umkreis darunter. Aber es ist auch so, es gibt von Kleist diese Novelle "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden", dass ich glaube, beim Reden denkt man. Ich vermute mal, dass die großen Schweiger auch keine großen Denker sind.
Sie haben erstmals eine Sex-Szene in einem Film gedreht - warum haben Sie vorher davor zurückgescheut?
Petzold: Ich würde nie Sex-Szenen drehen. Selbst die eine, die ich gedreht habe, hieß an dem Drehtag nur kalt formuliert "Oralsex unter der Bettdecke". Die am Set haben nur gelacht, weil das nicht meine Sprache ist. Ich habe nie das Gefühl bei Sex-Szenen, dass diese beiden Figuren für sich sind. Sondern, die sind immer für uns.
Diese einzige Sex-Szene in "Undine", die ich je in meinem Leben gedreht habe, hat nur funktioniert, weil die beiden unter der Bettdecke wie unter Wasser sind. Die schwimmen unter Wasser und man hört nur das Atmen. Das war die Schönheit dieser Szene. Ich möchte keinen Pimmel, keinen Arsch und keine Brüste in dieser Szene sehen. Die sind zwar nackt, aber sie werden respektiert von uns. Wir sind wie am Ufer - und durch Wasser und Bettdecken hindurch ahnen wir, dass die beiden dort einen Reigen aufführen.
Also ist viel Poesie bei diesem Debüt für Sie dabei gewesen …
Petzold: Es hat mir große Freude gemacht, aber ich habe mir danach sofort erst einmal einen Tag Urlaub genommen (lacht). Das war anstrengend.
Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR Kultur