Apokalypse-Drama "The End" und der Boom schräger Musicals
Film-Musicals galten ein paar Jahrzehnte lang als out - bis moderne Filmemacher das Genre wiederentdeckten und aktuell ständig neu erfinden. Diese Woche zum Beispiel startet "The End", ein Apokalypse-Drama in Musical-Form!
"Look at me, see how I shine, the best comes last in the great design. The future is mine alone…" Liedfragment aus dem Film "The End"
Da singt ein junger Mann von der Zukunft, die ihm gehört. Aber die Kulisse spricht vom Gegenteil: Ein Salzbergwerk tief in der Erde, düstere Stollendecken und Abraumhalden, durch die er tänzelt. "The End" erzählt von einer Familie, die sich vor 25 Jahren, als die Erde unbewohnbar wurde, in einen Höhlen-Bunker gerettet hat.
"Mom, am Anfang, hast Du da je daran gedacht, mehr Leute zu beherbergen?
"Wem hätten wir trauen können? Wir mussten an Dich denken."
Szene aus dem Film "The End"
In luxuriös eingerichteten unterirdischen Räumen wird dem Sohn Normalität vorgegaukelt, bis eine junge Fremde auftaucht und die heile Welt in Frage stellt.
Songtexte als Selbstbetrug
Die absurde Idee, daraus ein Musical zu machen, hatte der amerikanische Regisseur Joshua Oppenheimer. "Es ist ein Musical, weil es ein Film über Desillusionierung und falschen Optimismus ist. Den dummen Gedanken, dass schon alles gut ausgehen wird, wenn wir nur die Augen zumachen", erklärt Oppenheimer.
Die Funktion der Songs stellt er dabei auf den Kopf: Während im klassischen Broadway-Musical die Figuren singen, wenn sie ihre Gefühle nicht mehr in Worten ausdrücken können, also eine tiefere Wahrheit zum Vorschein bringen, machen sie sich in "The End" singend selbst etwas vor. Die Texte sind reiner Selbstbetrug. Dabei versprach das Lieblingsgenre von Filmhistoriker Michael Ranze einst Leichtigkeit: "Musicals, das ist irgendwie Unterhaltung ohne Reue, Vergnügen, in dem es um den Spaß an der Bewegung geht, um die Musik, um die Freude an den Songs", so Ranze. "Die Farben spielen immer eine große Rolle. Die Zuschauer sollen schon auch überwältigt werden. Aber auf einmal kommen Probleme ins Musical."
Überzeugende Musical-Filme - von "La La Land" bis "Emilia Pérez"
Die neue Tonalität ist erstmals vernehmbar, als im Oscar-Gewinner von 2017, "La La Land", Emma Stone und Ryan Gosling durch ernste Lebens- und Beziehungskrisen singen und tanzen. Die maximal romantische Kulisse oben auf den Hollywood Hills wird dabei in einer legendären Szene köstlich konterkariert vom unsentimentalen Songtext.

Der gewagte Plan, Lady Gaga und Joaquin Phoenix in der "Joker"-Fortsetzung als singendes Psychopathen-Paar zu etablieren, endet mit goldenen Himbeeren - dem Preis für die schlechtesten Filme des Jahres. Auf 13 Oscar-Nominierungen bringt es dagegen "Emilia Pérez". Regisseur Jacques Audiard schafft es tatsächlich, von der Transformation eines mexikanischen Drogenbarons zur Frau überzeugend in Musical-Form zu erzählen.
Auch wenn Filmhistoriker Ranze ein Faible für die großen Musical-Stars von einst hat - Rita Hayworth, Cyd Charisse, Kim Novak -, gegen die Rundumerneuerung des Genres hat er nichts einzuwenden: "Ich habe das Gefühl, dass die Regisseure mutiger geworden sind und auch Lust haben, es in andere Zusammenhänge zu stellen, mit anderen Themen zu behaften. Das Musical muss sich ja auch bewegen. Es kann nicht immer dasselbe bleiben. 'Singing in the Rain', das ist 1950er-Jahre, das ist schon lange her, das muss ein bisschen weitergehen in der Entwicklung."
"The End": Aberwitziger Film, dem irgendwann die Luft ausgeht
Besonders quergebürstet ist nun eben "The End" mit den grotesken Gesangseinlagen einer todgeweihten Sippe, die sich das Ende der Welt schönredet:
"Our hope for tomorrow will guide us. Together our future is bright…" Liedfragment aus dem Film "The End"
Höchst originell und aberwitzig ist das die erste Stunde lang. Nur geht dem überlangen Film dann irgendwann die Luft aus. Trotzdem ist es das Schrägste, was man an Film-Musicals bisher gesehen hat. Und der größtmögliche Gegensatz zur Farbenpracht und Opulenz von "Wicked", dem Kino-Musical-Hit der vergangenen Weihnachtssaison. Was für ein Gewinn, dass nun beides möglich ist: Musicals in allerschönster Tradition und als krasser Traditionsbruch. Man kann an beidem seine Freude haben.
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