Almila Bagriacik: Ein Naturtalent beim Kieler Tatort
Seit 2018 spielt Almila Bagriacik im Kieler Tatort und war in der Serie "4 Blocks" zu sehen. Sie liebt Hunde, Berlin und spricht fünf Sprachen. Zum Film ist die Berlinerin zufällig gekommen.
Almila Bagriaciks neuer Fall als Mila Sahin im Kieler Tatort "Borowski und das ewige Meer" mit Axel Milberg lief als Preview im Oktober beim Filmfest Hamburg 2024. Er soll 2025 bei Das Erste ausgestrahlt werden und kommt anschließend in die ARD Mediathek. Künftig spielen beim NDR Tatort zwei Frauen: Karoline Schuch ergänzt als Polizei-Psychologin Elli Krieger die Hauptkommissarin Mila Sahin. Die Geschichte, wie die Schauspielerin Bagriacik zum NDR Tatort gekommen ist, ist ungewöhnlich.
Kieler Tatort-Rolle für Bagriacik umgeschrieben
Gesucht war damals eine Schwedin Ende 30, gefunden wurde eine Deutsch-Türkin Mitte 20. Als Almila Bagriacik für die Rolle der neuen Tatort-Kommissarin in Kiel vorspricht, ist sie so überzeugend, dass die Figur einfach der Schauspielerin angepasst wird. Geboren ist die Figur "Mila Sahin", die seither mit Kommissar Borowski zusammenarbeitet.
Bei ihrem ersten Fall "Borowski und das Haus der Geister" ist Almila Bagriacik 28 und damit die jüngste Ermittlerin der Reihe, aber gewiss nicht die Praktikantin vom Dienst. Weder als Mila noch als Almila. "Am Anfang hatte ich das Gefühl, im 'Tatort' spielen zu dürfen, ist voll die Ehre", erinnert sie sich. Sie fragte sich: "Wie gehe ich damit um? Und mir wurde schnell klar, ich muss damit so selbstverständlich wie mit anderen Rollen umgehen. Denn es gibt einen Grund dafür, dass man mich ausgewählt hat."
Ein Naturtalent findet zufällig zur Schauspielkarriere
Der Grund liegt auf der Hand: Almila Bagriacik ist ein Naturtalent! Dabei begann ihre Schauspielkarriere eher zufällig. Mit 18 wird sie in einem Kreuzberger Club von einem Fotografen angesprochen. Ob sie nicht Lust auf ein Casting hätte. Hat sie. Kurz darauf bekommt sie ihre erste Rolle in "Die Fremde" - einem Ehrenmord-Drama von Feo Aladag, das 2010 bei der "Berlinale" uraufgeführt wird. Es folgen kleinere Rollen in Fernsehkrimis: "Der Kriminalist", "Großstadtrevier", ein Tatort ist auch mal dabei.
Tochter türkischen Journalistenpaares in Berlin
Aber Almila ist keine, die eben mal für Filmstar-Fantasien Schule oder Studium schmeißt! Geboren am 10. Juli 1990 in Ankara als Tochter eines türkischen Journalistenpaares, kommt sie 1995, im Alter von fünf Jahren nach Deutschland. Beide Eltern arbeiten als Auslandskorrespondenten für die türkische Zeitung "Milliyet" in Berlin. So wird Almila hier eingeschult. Das Bildungssystem ist etwas, das sie an Deutschland mit am meisten schätzt, wie sie der "Welt" in einem Interview erzählt: "Ich liebe es, weil es zum Denken, zum Hinterfragen anleitet. Du lernst schon in der Schule: 'Du musst deine Antworten selbst finden. Alles ist okay wenn du es belegen kannst'."
Eine wissbegierige und meinungsstarke junge Frau also, der es wichtig ist, Deutsch und ihre Muttersprache Türkisch gleichermaßen perfekt zu beherrschen (neben Englisch, Spanisch und Französisch). Als sie in einer türkischen Serie die Rolle einer Deutsch-Türkin übernimmt, muss sie sich - zum Erstaunen der Crew - den deutschen Akzent erst mühsam aneignen.
Regie-Studium nach dem Abitur, erste Rollen im Kino
Nach dem Abitur beginnt Almila ein Regie-Studium und arbeitet parallel dazu als Schauspielerin. Klassische Rolle: Die junge Frau mit Migrationshintergrund. Im Kinder-Kinofilm "Hördur - Zwischen Welten" muss sie als junge Deutsch-Türkin Sozialstunden auf einem Pferdehof leisten.
Im ARD-Drama "Die Opfer - Vergesst mich nicht" spielt sie Semiya Şimşek, die Tochter des ersten NSU-Mordopfers und bekommt dafür den Deutschen Filmpreis 2018 als beste Nachwuchsschauspielerin.
Streaming-Serie "4 Blocks" über Clan-Gangster
In der Erfolgsserie "4 Blocks" ist sie die Schwester der Clan-Gangster. Ihre Auftritte gehen unter die Haut, legen sie aber fest auf etwas, das sie weder privat ist noch gerne dauerhaft in Rollen darstellen möchte. "Ehrlich gesagt, bin ich bei unserem Tatort froh, dass die Herkunft von Mila Sahin nicht so in den Vordergrund gestellt wird" sagt sie. Denn das definiere doch nicht komplett den Charakter eines Menschen. Es sei eine Eigenschaft von vielen - so wie man eben Fleischesserin oder Vegetarierin sei.
Opferrolle ausnahmsweise in "Nur eine Frau"
Einmal aber nimmt sie doch noch die Rolle eines Opfers an. 2019 in Sherry Hormanns Kinodrama "Nur eine Frau". Und auch nur deshalb, weil der Film es nicht bei der Opfer-Rolle belässt. Almila Bagriacik spielt hier Hatun Sürücü, die junge Kurdin, die 2005 auf offener Straße in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde.
"Ich war ein Ehrenmord. Der erste, der so richtig fett Presse hatte", erzählt zu Beginn des Films Hatun selbst - mit der Stimme Almila Bagriaciks, in der in diesem Moment Trotz und Stärke und, ja, auch Sarkasmus liegt. Keine bedauernswerte Loserin, sondern eine Frau, deren streng religiöse Familie es nicht ertragen konnte, dass sie ihr Leben selbst in die Hand genommen hatte. Die sich aus einer gewalttätigen Zwangsehe befreit, mit ihrem kleinen Sohn ein eigenständiges Leben begonnen, eine Berufsausbildung angefangen hatte. Der Film feiert ihren Mut und ihre Lebensfreude - macht sie zur Heldin ihrer eigenen Geschichte. Und hat mit Almila Bagriacik eine Hauptdarstellerin, der man all das glaubt.
Privat kommt ihr die Rolle der Kommissarin Sahin viel näher. Eine gebildete, unprätentiöse Frau mit aufrechter Haltung, ruhiger Ausstrahlung, psychologischem Gespür. Ein guter Konterpart zu Milbergs eigensinnigem Kommissar Borowski, dessen Alleingänge sie in den Tatort-Fällen oft einfangen und gerade biegen muss. In "Borowski und der gute Mensch" wäre sie beinahe selbst wieder zum Opfer geworden. Schließlich entkam sie knapp Lars Eidinger als Film-Psychopathen, in dessen Kofferraum sie schon gelandet war.
"Jagdsaison" - eine Komödie im Kino
Im Sommer 2023 war die Frau, die so viele ernste, beklemmende Rollen gespielt hat, endlich mal in einer Komödie zu sehen! In "Jagdsaison" verbringen drei Frauen - Eva, Bella (die verhasste neue Lebensgefährtin von Evas Ex-Mann) und die gemeinsame Freundin Marlene - ein Wellnesswochenende an der Ostsee, um den geplanten Seitensprung von Marlene zu tarnen.
Eine deftige Mädels-Komödie, in der Almila Bagriacik die Beauty-Influencerin Bella spielt - zum ersten Mal in 14 Jahren Filmgeschäft eine Rolle ohne Migrationshintergrund, wie sie betont: "Ich bin so dankbar dafür, dass wir jetzt mal endlich nicht mehr erklären müssen, wo die Figuren herkommen! Und ich wünsche mir mehr davon! Wir müssen nicht unbedingt, wenn die Frau so aussieht wie Almila, sagen, Bella kommt aus Italien oder so. Nein, das interessiert keinen Menschen!"
Und noch aus einem anderen Grund war der "Jagdsaison"-Dreh mit den Kolleginnen Rosalie Thomass und Marie Burchard ein Geschenk für sie: "Ich bin immer die Bundeswehrsoldatin, die Kommissarin oder auf jeden Fall die Frau an der Front. Es hat mir so gut getan, mal etwas Komödiantisches zu spielen, nach Hause zu kommen, zu wissen, ich habe gearbeitet, der Verschleiß ist da, aber mein Kopf brummt nicht mehr."
Dass die weiblichen Heldinnen in dieser Komödie Schönheitsideale torpedieren, sich fürchterlich daneben benehmen und derbe Witze über Intim-Frisuren reißen dürfen, ist ganz nach Almilas Geschmack. Es sei höchste Zeit, dass auch Frauen in deutschen Filmen lustig und peinlich sein dürfen - wie die amerikanischen Kolleginnen Kristen Wiig oder Amy Schumer.
Auch die britische Serie "Fleabag" liebt Almila. Wichtig ist ihr, dass der Film nicht das Klischee des Zickenkriegs bedient, sondern letztlich Frauen-Solidarität feiert, aus Konkurrentinnen Freundinnen werden lässt: "Koexistenz is the key! Wir müssen einander respektieren für die Art und Weise, wie wir Dinge machen, und upliften, sagen, hey, ich finde, das hast Du richtig toll gemacht!"
Zukünftige Regie-Pläne
Fest steht, dass Almila Bagriacik irgendwann auch ihr Regie-Studium nutzen und eigene Filme drehen wird. Die Zeit als Schauspielerin nutzt sie nebenbei als Praktikum: "Wenn ich mal frei hab und nicht drehen muss, darf ich neben der Regie Platz nehmen und das einfach beobachten. Und davon ernähre ich mich gerade. Ich weiß ganz genau, was ich machen würde und was ich nicht machen würde."
Das gilt übrigens auch für ihr Privatleben: Niemals würde sie ihren geliebten Hund im Stich lassen, eine 14 Jahre alte Malteser-Dame. Und schwer vorstellbar, aus Berlin wegzuziehen! Denn Almila ist Deutsch-Türkin, in erster Linie aber Berlinerin - mit eigenem Schrebergarten.
Seit 2018 beim Kieler Tatort
Etwas heimisch geworden ist sie inzwischen aber auch an der Kieler Förde. Denn etwa zwei Mal im Jahr verbringt sie hier mehrere Wochen mit "Tatort"-Dreharbeiten. Und während zuletzt einige prominente Ermittler-Gesichter mit Knall-Effekt von der Bildfläche verschwunden sind, geht es für Kommissarin Mila Sahin gerade erst richtig los, wie Almila versichert: "Ich finde nicht, dass man aus dem Tatort aussteigen muss, um 'Größeres' zu erreichen."
Bisher war über die privaten Hintergründe der Figur in den Fällen noch wenig zu erfahren. Da das Publikum aber großes Interesse an Sahin zeige, werde in Zukunft noch das ein oder andere Geheimnis gelüftet werden, verspricht die zuständige Redakteurin. Drei weitere Fälle mit Almila Bagriacik und Axel Milberg sind bereits abgedreht:"Tatort: Borowski und das ewige Meer" läuft am 10. November 2024 ab 20.15 Uhr in Das Erste. Es folgen im Jahr 2025 die beiden Folgen "Tatort: Borowski und das hungrige Herz" sowie "Borowski und das Haupt der Medusa".