Ein Paar in einer Küche: Sie sitzt an einem Tisch und hält ein Glas in der Hand, er steht hinter ihr an einer Arbeitsplatte. © Armin Smailovic
Ein Paar in einer Küche: Sie sitzt an einem Tisch und hält ein Glas in der Hand, er steht hinter ihr an einer Arbeitsplatte. © Armin Smailovic
Ein Paar in einer Küche: Sie sitzt an einem Tisch und hält ein Glas in der Hand, er steht hinter ihr an einer Arbeitsplatte. © Armin Smailovic
AUDIO: "Schande" am Thalia Theater: Klaustrophobie auf der Wohlfühl-Insel (3 Min)

"Schande" am Thalia Theater: Klaustrophobie auf der Wohlfühl-Insel

Stand: 20.01.2024 09:11 Uhr

Bei den Hamburger Lessingtagen ist am Freitag das Stück "Schande" nach dem Film von Ingmar Bergman uraufgeführt worden. Der Abend lebt von seiner klaustrophobischen Stimmung - und lässt das Publikum am Thalia in der Gaußstraße mit offenen Fragen zurück.  

von Peter Helling

Wohnst du noch, oder lebst du schon? Jan und Eva "leben". Und zwar den skandinavischen Traum: Er liegt noch im Bett, während sie im groben Leinenhemd am modernen Küchenblock eines schwedischen Möbelhauses den Spinat-Brokkoli-Smoothie mixt. Okay, Handyempfang gibt es hier nicht, Küsschen gibt es auch keines, aber verschmustes, dösiges Sonntagmorgen-Frühstück in lässigen Wollsachen.

"Schande" nach Ingmar Bergman: Haarrisse im Gefühlskostüm 

Wir blicken auf eine Wohlfühl-Wohninsel, umgeben von einem Garten, in dem die Rhabarber-Stauden gedeihen. Jans Gitarre ist ans Bett gelehnt. Beide sind Musiker, haben sich aufs Land zurückgezogen und wohnen jetzt in einem Haus, das sie vor vier Jahren von Evas Eltern übernommen haben. Aber: Etwas stimmt nicht, eine Gereiztheit, eine Unmöglichkeit liegt in der Luft.

Sie: Reiß' dich doch bitte einfach mal zusammen, du bist nicht der einzige, dem das hier alles zusetzt.
Er: Warum kann ich nicht einfach mal meine Klappe halten? (weint) Dialog in "Schande"

Es ist ein Theater der Blicke, der mikroskopisch feinen Verschiebungen, der Haarrisse im Gefühlskostüm. Eva wird von Maja Schöne gespielt, Jan von Jirka Zett. Man möchte ihnen immer weiter zuschauen. Den beiden gelingt ein Bravourstück des psychologischen Spiels. 

Drei schwarz gekleidete Menschen, zwei Männer und eine Frau, sitzen an einem Tisch und unterhalten sich. © Armin Smailovic
Jacobi (Bernd Grawert, links) organisiert die Verteidigung der Insel gegen eine fremde Macht.
Mattias Andersson verschiebt Filmklassiker ins heute 

Langsam schleicht sich ein unsicheres Gefühl ein. Und dann betritt er die Bühne, zusammen mit ein paar Jugendlichen in coolen Hoodies: Jacobi. Gespielt wird dieser stiernackige Militär von Bernd Grawert. Längst wird klar: Diese Welt ist am Zerbrechen, eine fremde Armee steht vor den Küsten der Insel. Jacobi organisiert die Verteidigung. Regisseur und Autor Mattias Andersson, Intendant des berühmtesten schwedischen Theaters "Dramaten" in Stockholm, verschiebt den Filmklassiker Ingmar Bergmans von 1968 nach heute. Er muss gar nicht die aktuellen Kriege erwähnen, um die Gegenwart hereinzuholen. 

Der Abend ist klaustrophobisch. Jan und Eva, die Kreativen, leben ein Leben auf Pump - und draußen sterben die Männer an der Front. Das konkret "Andere" - die Jugendlichen, diese Stimmen von außen - es schwächt allerdings diesen an sich spannungsreichen Abend. Er bekommt etwas Hermetisches, und man fragt sich: Was transportiert er mehr als eine perfekt erzählte Stimmung, die der unseren verdammt ähnlich ist?

"Eigentlich nicht mehr als eine Idee" 

"Wir waren nicht so überzeugt vom Konzept, fanden eher, dass das so ein bisschen steckengeblieben war im Ansatz", sagt eine Zuschauerin danach. Eine Frau meint: "Die Idee war interessant, aber es war eigentlich nicht mehr als die Idee. Mir hat es nicht besonders viel Neues gegeben." 

Jan und Eva verdrängen, bis es nicht mehr geht. Am Ende blendet das Wort "Schande" riesig auf der Hinterwand der Bühne auf. Was genau diese Schande ist, bleibt hier offen. "Vielleicht ist der gesellschaftliche Aspekt gemeint", mutmaßt eine Besucherin. "Ich habe das auf die Passivität der Figuren bezogen", erzählt eine weitere Zuschauerin. Der kurze Abend, der keine Sekunde langweilt, ist mehr eine Etüde, ein Wurf, eine dunkle Melodie. Er spiegelt uns, weitet aber nicht den Blick.

Weitere Informationen
Schauspieler Sebastian Zimmler hockt vorn auf der Bühne zwischen Bambusstäben, im Hintergrund steht Tilo Werner in Anzug und mit Hut. © Thalia Theater Foto: Armin Smailovic

Packende Premiere von "Wolf unter Wölfen" am Hamburger Thalia

Am Hamburger Thalia Theater haben die Internationalen Lessingtage begonnen. Der Auftakt spiegelt gesellschaftliche Themen. mehr

Ein Nachbau der Statue von Gotthold Ephraim Lessing vom Gänsemarkt unterwegs auf dem Hamburger Dom. Die Figur hält ein Schild mit der Aufschrift: "Lessing on Tour". © Screenshot
2 Min

Die 15. Lessingstage am Thalia Theater starten

Im Fokus werden Fragen rund ums Klima, die Zukunft und die Kunst stehen. Den Beginn macht das Hans-Fallada-Stück "Wolf unter Wölfen". 2 Min

"Schande" am Thalia Theater: Klaustrophobie auf der Wohlfühl-Insel

Mattias Andersson hat Ingmar Bergmanns Film aus dem Jahr 1968 neu interpretiert. Am Freitag war Uraufführung am Thalia in der Gaußstraße.

Art:
Bühne
Datum:
Ort:
Thalie in der Gaußstraße
Gaußstraße 190
22765  Hamburg
Telefon:
040 30603910
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonnabend | 20.01.2024 | 14:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Theaterfestival

Spielfilm

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur sucht Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Ein Bühnenbild mit Frauen auf der Bühne, dazwischen eine weiße Maske © Joseph Ruben Heicks Foto: Joseph Ruben Heicks

"Fritz Bauer Ultras" feiert Premiere am Staatstheater Braunschweig

Die Inszenierung holt die Aufforderung des jüdischen Juristen Fritz Bauer, für Demokratie und Grundgesetz einzutreten, in die Gegenwart. mehr