"Schande" am Thalia Theater: Klaustrophobie auf der Wohlfühl-Insel
Bei den Hamburger Lessingtagen ist am Freitag das Stück "Schande" nach dem Film von Ingmar Bergman uraufgeführt worden. Der Abend lebt von seiner klaustrophobischen Stimmung - und lässt das Publikum am Thalia in der Gaußstraße mit offenen Fragen zurück.
Wohnst du noch, oder lebst du schon? Jan und Eva "leben". Und zwar den skandinavischen Traum: Er liegt noch im Bett, während sie im groben Leinenhemd am modernen Küchenblock eines schwedischen Möbelhauses den Spinat-Brokkoli-Smoothie mixt. Okay, Handyempfang gibt es hier nicht, Küsschen gibt es auch keines, aber verschmustes, dösiges Sonntagmorgen-Frühstück in lässigen Wollsachen.
"Schande" nach Ingmar Bergman: Haarrisse im Gefühlskostüm
Wir blicken auf eine Wohlfühl-Wohninsel, umgeben von einem Garten, in dem die Rhabarber-Stauden gedeihen. Jans Gitarre ist ans Bett gelehnt. Beide sind Musiker, haben sich aufs Land zurückgezogen und wohnen jetzt in einem Haus, das sie vor vier Jahren von Evas Eltern übernommen haben. Aber: Etwas stimmt nicht, eine Gereiztheit, eine Unmöglichkeit liegt in der Luft.
Sie: Reiß' dich doch bitte einfach mal zusammen, du bist nicht der einzige, dem das hier alles zusetzt.
Er: Warum kann ich nicht einfach mal meine Klappe halten? (weint)
Dialog in "Schande"
Es ist ein Theater der Blicke, der mikroskopisch feinen Verschiebungen, der Haarrisse im Gefühlskostüm. Eva wird von Maja Schöne gespielt, Jan von Jirka Zett. Man möchte ihnen immer weiter zuschauen. Den beiden gelingt ein Bravourstück des psychologischen Spiels.
Mattias Andersson verschiebt Filmklassiker ins heute
Langsam schleicht sich ein unsicheres Gefühl ein. Und dann betritt er die Bühne, zusammen mit ein paar Jugendlichen in coolen Hoodies: Jacobi. Gespielt wird dieser stiernackige Militär von Bernd Grawert. Längst wird klar: Diese Welt ist am Zerbrechen, eine fremde Armee steht vor den Küsten der Insel. Jacobi organisiert die Verteidigung. Regisseur und Autor Mattias Andersson, Intendant des berühmtesten schwedischen Theaters "Dramaten" in Stockholm, verschiebt den Filmklassiker Ingmar Bergmans von 1968 nach heute. Er muss gar nicht die aktuellen Kriege erwähnen, um die Gegenwart hereinzuholen.
Der Abend ist klaustrophobisch. Jan und Eva, die Kreativen, leben ein Leben auf Pump - und draußen sterben die Männer an der Front. Das konkret "Andere" - die Jugendlichen, diese Stimmen von außen - es schwächt allerdings diesen an sich spannungsreichen Abend. Er bekommt etwas Hermetisches, und man fragt sich: Was transportiert er mehr als eine perfekt erzählte Stimmung, die der unseren verdammt ähnlich ist?
"Eigentlich nicht mehr als eine Idee"
"Wir waren nicht so überzeugt vom Konzept, fanden eher, dass das so ein bisschen steckengeblieben war im Ansatz", sagt eine Zuschauerin danach. Eine Frau meint: "Die Idee war interessant, aber es war eigentlich nicht mehr als die Idee. Mir hat es nicht besonders viel Neues gegeben."
Jan und Eva verdrängen, bis es nicht mehr geht. Am Ende blendet das Wort "Schande" riesig auf der Hinterwand der Bühne auf. Was genau diese Schande ist, bleibt hier offen. "Vielleicht ist der gesellschaftliche Aspekt gemeint", mutmaßt eine Besucherin. "Ich habe das auf die Passivität der Figuren bezogen", erzählt eine weitere Zuschauerin. Der kurze Abend, der keine Sekunde langweilt, ist mehr eine Etüde, ein Wurf, eine dunkle Melodie. Er spiegelt uns, weitet aber nicht den Blick.
"Schande" am Thalia Theater: Klaustrophobie auf der Wohlfühl-Insel
Mattias Andersson hat Ingmar Bergmanns Film aus dem Jahr 1968 neu interpretiert. Am Freitag war Uraufführung am Thalia in der Gaußstraße.
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Thalie in der Gaußstraße
Gaußstraße 190
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