Sasha Waltz gastiert auf Kampnagel: "Wie eine getanzte Fuge"
Tanzikone Sasha Waltz hat am Donnerstag auf Kampnagel mit ihrer Compagnie "Sasha Waltz & Guests" Premiere gefeiert. Das unfertige Tanzstück "In C" bietet einen sehenswerten Abend.
Der Bühnenhintergrund glüht rot. Davor die elf Tänzer und Tänzerinnen. Noch wirken sie wie schwarze Schatten, die wie unsortiert auf dem weißen Bühnenboden herumlaufen. Fast ein bisschen gespenstisch. Sie finden sich zusammen, trennen sich wieder, suchen erst langsam die Bewegung. Eine Schulter rollt nach hinten, langsam dreht sich ein Kopf zur Seite. Dann der nächste, dann noch einer - bis die Bewegungen schneller werden, die Arme schwungvoll geschmeidig, Drehungen kommen, präzise Sprünge.
53 Bewegungsmodule in der Choreografie
Der Clou an diesem Abend: Die Choreografie hat 53 vorgegebene Bewegungsmodule. Die strukturieren zwar das Stück und haben auch klar vorgegebene Regeln, geben den Tänzern und Tänzerinnen aber eine gewisse Freiheit und Raum für Variationen. Sie entscheiden, wann sie sich mit den anderen synchronisieren oder ob sie eine neue Bewegung starten.
Angelehnt ist Sasha Waltz' Choreografie-Idee an einen wegweisenden Klassiker der Minimal Music: Der amerikanische Pianist Terry Riley hat sein "In C" 1964 als Partitur mit 53 Phrasen komponiert. Vorgegeben war weder die Zahl der Musizierenden noch die Länge der einzelnen musikalischen Figuren oder die Anzahl der Wiederholungen.
Atemberaubende Präzision
Eine Besucherin im Publikum fasst den Abend so zusammen: Er sei "wie eine getanzte Fuge." Alles wiederhole sich und tauche noch einmal auf. "Man guckt auf die eine Seite, auf der anderen Seite passiert das gleiche in einer atemberaubende Präzision. Großartig. Die Musik war ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Aber der Gleichklang, die Wiederholung, dieses Immer-wieder-Dasselbe zu machen, immer wieder zurückzufinden auf den Punkt - das hat mir gut gefallen."
Inzwischen ist der Bühnenraum in zartes Licht getaucht. Sinnliches gelb, blau, rosa scheint der Hintergrund. Die Tanzenden sind in freundliche Pastellfarben gekleidet. Zartgrün, hellgelb, ein sanftes Rot. Die Hosen und das transparent wirkende Oberteil sind jeweils in derselben Farbe.
Leicht wirkt das alles. Freundlich. "Wie eine Blumenwiese" kommt aus dem Publikum: "Es hat einfach Spaß gemacht zuzugucken. Dieses Mantra-artige war schön anzusehen", sagt ein Zuschauer. Es waren schöne Bilder. Schöne Bewegungen. Eine knappe Stunde lang.
Stück von Sasha Waltz kann mit Laien und Kindern weiterentwickelt werden
Am schönsten, wenn sogar zu sehen ist, wie sich einer der Tänzer oder eine Tänzerin gerade orientiert: wohin, mit wem und wann. Das Gefühl, bei einem Entstehungsprozess dabeizusein. Eine Zuschauerin erzählt: "Ich habe es als spielerisch empfunden. Ich hatte das Gefühl, ich sehe Menschen beim Spielen zu. Nur ich wusste dann nicht so ganz genau: was soll ich jetzt damit machen?"
Möglicherweise ist das bald nicht mehr die Frage. Denn das Stück "In C" ist für Sasha Waltz voller Dynamik und könnte auch mit Laien oder Kindern weiterentwickelt werden. Nach der Premiere bleibt diese Frage aber erstmal: Was soll ich jetzt damit machen? Bei allen schönen Bühnenbildern, die man sofort fotografieren möchte, damit sie nicht verloren gehen und der tollen Compagnie: Es ist ein - sehenswerter - Abend der Technik, nicht der Emotion. Das tiefe Herz bleibt unberührt. Viel enthusiastischer Applaus für die Tänzer und Tänzerinnen.