"Wir Zerrissenen": Die Unmenschlichkeit eines rassistischen Systems
"Wir Zerrissenen", der erste Roman der Südafrikanerin Rešoketšwe Manenzhe, erzählt von den Jahren des Kolonialismus in ihrem Heimatland. Der Autorin gelingt es, Rassismus als globales Problem darzustellen.
Es ist das Jahr 1927. Für die Familie von Abram und seiner Ehefrau Alisa ändert sich von heute auf morgen alles, als ein neues Gesetz verabschiedet wird. Für ihn als weißen Niederländer und Südafrikaner und für sie als schwarze Engländerin hat dieser sogenannte Immorality Act harte Konsequenzen.
Hierdurch wird das Verbot des Geschlechtsverkehrs zwischen Europäern und Eingeborenen in Kraft gesetzt. Sowie das Verbot anderer, damit in Verbindung stehender Vergehen. Mit diesen wenigen Worten wurde Abrams Leben von einem Moment auf den anderen ins Chaos gestürzt. Leseprobe
Der Tod als letzter Ausweg
Für Alisa bedeutet das Gesetz die Bestätigung all ihrer lange schon empfundenen Ängste. Abram, der bislang optimistischer war - weil er es sich als Weißer leisten könne, so der Vorwurf seiner Ehefrau -, reagiert nur zögerlich. Er hofft, dass ihre Heiratsurkunde und ihr Reichtum sie und ihre Töchter Dido und Emilia vor Schlimmeren bewahren können. Die melancholische Alisa sieht aber keinen Ausweg mehr und legt ein Feuer, um sich und ihre Töchter zu töten. Einzig Dido überlebt den Brand.
In der wohl eindrücklichsten Szene des Romans versucht Dido nach dem Tod ihrer Mutter und ihrer Schwester zur Normalität zurückzukehren:
Aber ohne Emilia, die ihr ohne Unterlass in den Ohren lag, machte es keinen Spaß. Ihre Tage waren von einer so entsetzlichen Stille erfüllt, dass sie am liebsten ununterbrochen geweint hätte. Sie versuchte, neue Spiele zu erfinden, für die sie Emilia nicht brauchte. Wenn sie durch die Rebfelder rannte, spürte sie eine unwirkliche Leere hinter sich. Dort, an dieser Stelle, müsste eigentlich Emilia laufen, während ihre Haare wild hinter ihr herflatterten und ihr Lachen die gespenstische Stille der Felder durchbrach. Leseprobe
Rassismus als globales Problem
Nach der Familientragödie springt der Roman zu Alisas Vorgeschichte. Sie wurde von einem weißen Engländer adoptiert und kommt auf der Suche nach ihren Wurzeln zurück nach Afrika. Für sie steht fest, dass sie im rassistischen England des beginnenden 20. Jahrhunderts nicht bleiben kann. Der Autorin gelingt es, über die Figur der Alisa, Rassismus als globales Problem darzustellen, das auch außerhalb von Südafrika eine Rolle spielt.
Bis zu ihrem Tod schafft es Alisa nicht, ihre Wurzeln zu finden. Nanny Gloria, die eigentlich Mmakoma heißt, überredet Abram, für seine tote Frau und Tochter eine Zeremonie durchzuführen, um ihren Seelen eine Heimat zu geben. Die Zeremonie soll die Seelen der Toten zu den Ahnen bringen.
"Wir Zerissenen": Emotionales Debüt
Die Figur der Mmakoma bringt dem Leser nahe, wie das Leben vieler Südafrikaner aussah. Ihr und ihrer Familie wurde ihr fruchtbares Land genommen. Sie mussten sich als Arbeitskräfte in den Minen von Johannesburg, auf Farmen oder in Haushalten durchschlagen. Die Kolonialherrschaft hat Mmakoma ihre Kultur, ihr Land und ihren Namen genommen. Bis heute sind die sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Apartheidsjahre in Südafrika zu spüren.
Die politischen Hintergründe geben dem Roman seinen Rahmen, doch es ist die Entscheidung Alisas, sich und ihre Kinder zu töten, die, eingebettet in Stammesgeschichten, von Göttern und Ahnen, dem Roman eine besondere emotionale Kraft verleiht. Nicht ohne Grund ist "Wir Zerissenen" eines der meistausgezeichneten Debüts Südafrikas.
Wir Zerrissenen
- Seitenzahl:
- 352 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
- Verlag:
- Penguin
- Bestellnummer:
- 978-3-328-60270-5
- Preis:
- 25 €