Sophie Passmann "Pick me Girls": Surfen auf der feministischen Debattenwelle
"Pick me Girls" ist laut Verlagsangaben das bisher persönlichste Buch von Sophie Passmann. Leider wirkt es in seiner sprunghaften Oberflächlichkeit wie ein überlanger Social-Media-Post aus Sophies Welt.
30 Mal "Ich" allein auf den ersten zwei Seiten - man kann Sophie Passmann nicht vorwerfen, dass sie ihre Methode als Surferin auf der feministischen deutschen Debattenwelle verschleiert. Es ist der konsequent individuelle Blick auf das auf Social-Media-Plattformen diskutierte Phänomen der "Pick me girls". Der Begriff geht zurück auf eine Szene in der popkulturellen Millenniumbibel des Feminismus: der Ärzteserie "Greys Anatomy". Meredith, eine der Hauptdarstellerinnen, will erreichen, dass sich Derek für sie entscheidet. Ihr Appell: "Nimm mich, wähl mich, lieb mich!"
Der Ursprung: Ein TikTok-Trend
2020 begannen dann bei TikTok Userinnen Videos aufzunehmen, in denen sie sich lustig machten über "Pick me girls". Die Schublade, in der diese Mädchen oder Frauen gepackt wurden, gehört ins Regal "Toxische Weiblichkeit". Sophie Passmann schreibt:
Die einzige Charaktereigenschaft des pick me girl ist die Tatsache, dass sie versucht, anders als andere Frauen zu sein. Andere Frauen werden dabei immer über weibliche Klischees definiert: oberflächlich, leicht hysterisch, unentspannt, essgestört, Spielverderberinnen, die ihre Partner von entspannten Abenden mit den Jungs weglockten, um sich bei ihnen darüber auszuheulen, dass sie drei Kilo zugenommen hatten. Anders als andere TikTok-Trends, die ohne größeren Einfluss auf das popkulturelle Gedächtnis irgendwann wieder verschwinden, wurde pick me girls zu einem feststehenden Begriff, der aus der Satire zu echten feministischen Debatten rübergerettet wurde. Leseprobe
"Pick me Girls": Ein Coming-of-Age-Erklärungsmodell
Was nun folgt in Sophie Passmanns autobiografischem Coming-of-Age-Erklärungsmodell, ist eine Beichte: Ja, sie selbst war ein "Pick me girl". Und ein ausgestreckter Zeigefinger, der alle Frauen meint und alle Männer auch.
Pick me girls können nur pick me girls sein, wenn sie in einer Welt von Männern leben, die ihre eigene Anerkennung und Zuneigung als Instrument nutzen, um die Frauen in ihrem Leben handelbar und angenehm zu halten. (…) Ich glaube, dass alle Frauen, die im Patriarchat groß werden, pick me girls sind. Manchmal. Oder früher. Zwischendurch. Als Ausnahme. Oder nur bei einem Mann in ihrem Leben. Leseprobe
Scham als zentraler Begriff
Sophie Passmann hat die Gabe, einem mit kluger Schnoddrigkeit die Argumente um die Ohren zu hauen. Allerdings weiß man irgendwann nicht mehr, wogegen oder wofür sie argumentiert. Und doch fühlt man sich als Leserin ertappt in mancher Analyse: der internalisierte männliche Blick auf sich selbst und die Freundinnen in der Jugend; dieser Anspruch, "Jungs und Männern gefallen zu wollen", mit dem man Jahre verbringt. Und wenn es nicht über die Optik funktioniert, nimmt man den Ausweg: "Gute Kumpelin mit besonders lauter Lache und männlichen Hobbies". Scham ist für Passmann der zentrale Begriff:
Scham fühlt sich immer an wie ein Einzelschicksal, denn sie behauptet, dass mit einem selbst etwas außergewöhnlich falsch ist. Wenn man wüsste, dass sich alle für die gleiche Sache schämen, würde sie keinen Sinn mehr ergeben. Deswegen zieht Scham immer zuerst Schweigen und dann Aushalten hinter sich her. Wer sich schämt, hält still, egal, wie schlecht er oder sie behandelt wird, denn es fühlt sich an wie die gerechte Strafe für das, was ja so offensichtlich falsch an einem ist. Und wer sich wehrt, zieht noch mehr Aufmerksamkeit als nötig auf sich. Leseprobe
Sophie Passmann schreibt von Essstörungen und Selbsthass
Immer wieder erzählt die Autorin von ihrer Kindheit und Jugend, beschreibt sich als unglückliches, hochintelligentes, pummeliges, psychisch krankes Mädchen. Sie schreibt über ihr früh verzerrtes Körperbild und ihren Weg in eine Essstörung, über anerzogene weibliche Selbstablehnung und Selbsthass. Über den stillen Wettbewerb unter Frauen, selbst sexuelle Belästigungen als Zuwendung zu werten und Strichlisten darüber zu führen, um am Ende als Siegerin vom Platz zu gehen. Was ist falsch gelaufen in unser aller Jugend, fragt sie.
Ich vermisse alles, was ich hinter mir gelassen habe beim Versuch, irgendwas zu sein zwischen Frauen, die anders sein wollen als andere Frauen, und Frauen, die die plakativste Weiblichkeit nachspielen, die ihnen einfällt, als wäre Frausein für sie mehr eine Dragshow als eine Identität. Ich habe heute mehr Verständnis für jede Frau, die sich in irgendeine dieser Rollen klemmt, die für sie vorgesehen wurde. Leseprobe
"Pick me Girls" wirkt wie ein überlanger Social-Media-Post
Was dem Buch fehlt, ist ein Blick über den eigenen Erfahrungshorizont hinaus und ein gründliches, straffendes Lektorat. Passmann schreibt selbst, dass sie kein Teenagerselbsthilfebuch, kein feministisches Kampfwerk, keine Autobiografie schreiben wollte. Das Buch "Pick me Girls" wirkt in seiner sprunghaften Oberflächlichkeit wie ein überlanger Social-Media-Post aus Sophies Welt.
Pick me Girls
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00420-5
- Preis:
- 22 €