Selva Almadas Roman "Kein Fluss": Viel mehr als nur Natur
Mit dem Roman "Kein Fluss" ist der argentinischen Schriftstellerin Selva Almada ein souverän erzählter und nachdenklich stimmender Roman über die Beziehung von Mensch und Natur geglückt.
Als Selva Almada ihren neuen Roman "Kein Fluss" beendete, stellte sie fest, dass sie wieder eine Geschichte über Männer und Männlichkeit erzählt hatte. Wie schon in ihren vorigen zwei Romanen. Die Schriftstellerin interessiert der weibliche Blick auf den Mann. Als kleines Mädchen in der argentinischen Provinz war sie fasziniert davon, dass ihr Vater mit seinen Männerfreundschaften manchmal für einige Tage zum Fischen verschwand. Da das reine Männersache war und Selva Almada nicht mitkommen durfte, regte das schon damals ihre Fantasie an: Was machten diese Männer wohl auf ihren Angelausflügen? Inspiriert von dieser Frage hat sie "Kein Fluss" geschrieben. Der ist nun in deutscher Übersetzung erschienen.
Der rücksichtslose Umgang mit der Natur
"Es wäre schon gut, wenn wir uns etwas mehr für unsere pflanzliche und tierische Umgebung interessierten", sagt Selva Almada, die in Buenos Aires lebt. Die 50-jährige Autorin ist auf dem Land aufgewachsen und hat sich eine besondere Sensibilität für die Natur bewahrt. Der rücksichtslose Umgang mit ihr steht am Anfang von Almadas Roman "Kein Fluss":
Er sieht ihn kommen. Ein riesiger Fleck unter der Wasseroberfläche. Er zielt und drückt ab. Einmal. Zweimal. Dreimal. Blubbernd quillt das Blut herauf, verwaschen. Leseprobe
In der argentinischen Provinz, auf einem Wochenendausflug, fischen zwei erwachsene Männer und ein Jugendlicher einen Rochen aus einem Fluss und erschießen ihn. Für sie ist es nur ein spaßiges Abenteuer. Den Kadaver des Rochens hängen sie wie eine Trophäe an einen Baum und werfen ihn später in den Fluss. Dieses Verhalten ruft die einheimischen, naturverbundenen Dorfbewohner auf den Plan. Der Konflikt staut sich bis zum finalen Gewaltausbruch an. Die Spannung steigt, weil Almada die Geschichte durch Rückblicke unterbricht. Denn der Vater des Jugendlichen ertrank vor Jahren im Fluss. Zuvor hatte einer der Hobbyfischer mehrfach von einem Ertrunkenen geträumt. "Manchmal sind Träume ein Echo der Zukunft", sagt ein Heiler im Roman.
"Kein Fluss": Kein moralisierendes Umweltbuch
"Ich glaube an solche Dinge", gibt Selva Almada zu. "Die Romanfigur des Heilers Gutiérrez ist von einem realen Mann aus meiner Kindheit inspiriert. Wenn ich krank war, haben mich meine Eltern nicht nur zum Arzt gebracht, sondern immer auch zum Heiler. Als ob es nicht reichen würde, nur zum Kinderarzt zu gehen. Es brauchte auch noch die magische Komponente, um gesund zu werden."
"Kein Fluss" ist aber kein esoterischer Roman und auch kein plump moralisierendes Umweltbuch. Dazu schreibt Almada viel zu raffiniert. Sie dringt tief in die Gefühlswelten ihrer Figuren ein und schildert die Natur so präzise, dass ihre Einzigartigkeit ganz natürlich zum Vorschein kommt. Besonders, als sie aus der Warte des Einheimischen Aguirre schreibt, den die unsensiblen Wochenendfischer zur Weißglut bringen:
Es ist nicht irgendein Fluss; es ist dieser Fluss. Er hat mehr Zeit mit ihm verbracht als mit irgendwem sonst.
Und dann.
Wer hat ihnen das erlaubt!
Es war auch nicht irgendein Rochen. Es war dieser Rochen. Ein wunderschönes Tier, ausgebreitet am Grund des Flusses, wo er weiß geschimmert haben muss wie eine Braut in der lichtlosen Tiefe.
Leseprobe
Selva Almada verleiht der Natur eine Stimme
Warum nur hat der Übersetzer Christian Hansen (oder war es der Verlag?) den Roman im Deutschen sinnentstellend "Kein Fluss" genannt anstatt treffend "Nicht irgendein Fluss" oder "Mehr als ein Fluss"? Ansonsten ist es aber eine Freude, diesen Roman auf Deutsch zu lesen. Selva Almada verleiht der Natur auch dadurch eine Stimme, dass sie etwa den Wald personifiziert. Der empfindet einen der Wochenendbesucher, der ihn betritt, als Fremdkörper. Fragt sich, ob der Wald, wenn er könnte, uns moderne Menschen gleich wieder ausspucken würde: "Ja. Ich glaube, ja. (lacht) Und er täte sehr gut daran, uns auszuspucken."
Selva Almada ist mit "Kein Fluss" ein souverän erzählter und nachdenklich stimmender Roman über die Beziehung von Mensch und Natur geglückt.
Kein Fluss
- Seitenzahl:
- 112 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Spanischen von Christian Hansen
- Verlag:
- Berenberg
- Bestellnummer:
- 978-3-949203-49-7
- Preis:
- 24 €