"Seltsame Blüten": Liebenswerter Roman über Zugehörigkeit
Der irische Autor Donal Ryan ist in Tipperary aufgewachsen: Hier kennt er Hügel und Berge, Dialekte, Gebräuche und Mythen. Und hier spielt auch sein neuestes Buch mit besonders zugewandten Väterfiguren.
Dass ein Kind verschwindet, ist in dieser Gegend noch nie vorgekommen. Auch nicht ein beinahe erwachsenes Kind. Kit und Paddy können nicht fassen, dass ihre Tochter ohne ein Wort das Haus verlassen hat; nur eine Reisetasche hat sie mitgenommen. Die Eltern warten, suchen, beten, verzweifeln. Im Dorf wird getratscht. Nur die wohlmeinenden Nachbarn fragen vorsichtig: Immer noch kein Lebenszeichen von Moll?
Man wollte auch nicht zu viel Mitleid zeigen, damit Paddy nicht meinte, man würde das Naheliegendste denken: dass Moll Gladney entweder tot oder schwanger war. Und was davon schlimmer gewesen wäre, das wusste man nicht. Leseprobe
Die Rückkehr der verschwundenen Tochter
Fünf Jahre lang rechnen die Eltern damit, dass der Dorfpolizist zu ihnen auf den Hügel kommt, um das Schlimmste mitzuteilen. Stattdessen öffnet Moll eines Tages die Pforte. Kit und Paddy können ihr Glück kaum glauben - ihre Tochter, gesund und unverletzt. Dass ihr Kleid kurz ist und sie raucht - nicht zu ändern. Schwieriger allerdings, dass sie nicht zur Messe gehen will. Und dass sie so viele Geschichten erzählt.
Doch keine der Geschichten verriet oder enthüllte irgendetwas darüber, warum sie gegangen war und wie um Himmels willen sie ihren Eltern fünf lange Jahre die Hölle auf Erden hatte bereiten können (…) und nicht einmal den Anstand besaß, sich zu erklären, um Vergebung zu bitten, voller Reue vor ihnen auf die Knie zu fallen. Leseprobe
Die Suche nach einem Zuhause
Donal Ryan erzählt von einem Dorf im irischen Tipperary, das er gut kennt. Er wählt einen märchenhaften Ton für das Leben in den 70er-Jahren, das vor allem von körperlicher Arbeit und religiösen Regeln geprägt ist. Die Kapitel sind überschrieben wie biblische Bücher: "Genesis" oder "Offenbarung". Der Ton wird gegenwärtiger, nachdem nicht nur Moll aus London zurückgekehrt ist, sondern auch Alexander auftaucht. Er hat im selben Hotel gearbeitet wie sie und lange um sie geworben, bis sie sich ihm zugewandt hat. Seine Mutter ist entsetzt. Er, ein Schwarzer aus London, will ein weißes irisches Mädchen heiraten, das ein Kind von ihm erwartet. Aber sein Vater besinnt sich:
"Ich glaube, manchmal kennen wir zu viel von der Bibel und nicht genug von der Welt. Zeiten ändern sich, und das Leben überholt uns (…) Bring dein Mädchen nach Hause, Sohn, sie ist bei uns willkommen." Leseprobe
Nicht lange nach der Hochzeit verschwindet Moll, zum zweiten Mal. Sie verlässt ihren Mann und ihr Kind. Alexander gibt nicht auf, bis er Moll bei ihren Eltern aufgespürt hat. Er nimmt hin, wie distanziert sie ist - seine Liebe ist nicht zu erschüttern, und der kleine Josh soll nicht ohne seine Mutter aufwachsen. Alexander bleibt. Der erste Schwarze, den Molls Eltern kennenlernen, den sie lieben lernen, der erste Schwarze, der schließlich als gefragter Gärtner die Anlagen wohlhabender Nachbarn beackert. Er hat ein Zuhause gefunden - das ist der Kern dieses Romans -, während Moll ihr Zuhause immer noch sucht. Nur ihr Sohn hat eine Ahnung, wo sie es findet.
"Seltsame Blüten": Ein liebenswerter Roman
Donal Ryan hat in diesem liebenswerten Roman besonders zugewandte Väterfiguren geschaffen. Sie sind gläubig, aber darin so flexibel, dass sie immer an der Seite ihrer Kinder bleiben und sie ermutigen. Lange, nachdem Alexander gestorben ist, kann Josh noch seine Stimme hören: genau so, mein Sohn, genau so.
Seltsame Blüten
- Seitenzahl:
- 272 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll
- Verlag:
- Diogenes
- Bestellnummer:
- 978-3-257-07265-5
- Preis:
- 24 €