Roman "Demon Copperhead": Ein Leben voller Ungerechtigkeiten
Barbara Kingsolver erzählt in ihrem Roman nicht nur von einem Einzelschicksal, sondern vermittelt Geschichtswissen und übt Sozialkritik. "Demon Copperhead" ist intensiv und fordernd, ambitioniert und lehrreich.
"David Copperfield" - in seinem wohl berühmtesten Roman verarbeitete Charles Dickens 1849 seine eigene Geschichte - von der unglücklichen Kindheit bis zum erfolgreichen Schriftsteller. Ein Klassiker der Weltliteratur, den sich rund 175 Jahre später die US-Amerikanerin Barbara Kingsolver als Schablone für ihren neusten, zehnten Roman genommen hat. "Demon Copperhead" heißt er, wie sein Protagonist. Auch er wird früh mit dem Verlust der Eltern, mit Armut und Ausbeutung konfrontiert. Nur wächst er nicht im London des 19. Jahrhunderts, sondern im ländlichen Virginia in den 1990er- und 2000er-Jahren auf. In Kingsolvers Heimat, den Appalachen, einer Region mit reicher Natur, aber auch großen sozialen Problemen. Auch davon erzählt "Demon Copperhead".
Drogensucht, Pflegefamilien, menschenunwürdige Verhältnisse
Als Damon Fields auf dem Boden eines Trailers in den Wäldern Virginias zur Welt kommt, ist seine drogenabhängige Teenager-Mutter bewusstlos, sein Vater tot. Damons unheilvoller Spitzname ist schnell gefunden: Demon, also Dämon. Dahinter Copperhead, wie die Schlange mit kupferrotem Kopf - passend zu seiner Haarfarbe. Demon Copperhead, so nennen ihn alle. Schon als Kind muss er sich um seine überforderte Mutter kümmern. Sie verliebt sich in einen brutalen Mistkerl, der Demon misshandelt, und stirbt schließlich an einer Medikamenten-Überdosis.
Demon durchwandert in der Folge Pflege-"Familien", die ihn auf Tabakplantagen schuften oder für Crystal Meth-Labore arbeiten lassen. Bei denen er unter menschenunwürdigen Verhältnissen hausen und hungern muss. Trotz all der schreienden Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren, verliert Demon nie den Sinn für das Schöne in der Welt und das Mitgefühl für andere Menschen.
Emmy war in gewisser Weise schlimmer dran als ich. Sie hatte noch nie im Leben ein Glühwürmchen gesehen. Das war einfach tragisch. Ich erzählte ihr, dass es verschiedene Arten gibt. Eine leuchtet lange überhaupt nicht, aber dann blinken alle auf einmal auf, Tausende, ein einziges großes Funkeln, den ganzen Bach rauf und runter. So schön, dass man glatt ausflippen könnte. Leseprobe
Demon Copperhead: Ein unverwüstlicher Charakter
Barbara Kingsolver nutzt für ihre bildstarken, lebendigen Beschreibungen immer wieder das spezielle Talent Demon Copperheads: Der Junge liebt Comics und erweist sich als begabter Zeichner. Sein Kosmos besteht aus Superschurken wie "Creak Evil" und Superheldinnen wie "Wonder Nurse" oder "Black Leather Angel":
So ein knallharter Engel mit schwarzen Lederflügeln. (...) Das Wichtigste an ihr waren diese grauen Augen, die in einen reinsahen und erkannten, was an einem nagte - die Superkraft, Gedanken zu lesen und einen zum Sprechen zu bringen. Leseprobe
Demons eigene Superkraft erkennt seine erste große Kinderliebe Emmy: seine Widerstandskraft, dieser beständige, innere Kern. Diese schiere Unverwüstlichkeit, gepaart mit seiner große Klappe, seinem Humor und seinem liebevollen Blick auf die Welt, machen die Lektüre überhaupt erträglich. Eine gewisse Leidensfähigkeit brauchen die Leser trotzdem - und einen langen Atem: Auf 864 Seiten erzählt Barbara Kingsolver nicht nur von einem Einzelschicksal, sondern vermittelt Geschichtswissen und übt Sozialkritik: am Umgang mit den Opfern der Opioidkrise, am US-amerikanischen Fürsorgesystem, an der Stigmatisierung der appalachischen Landbevölkerung. Ihr Roman "Demon Copperhead" ist intensiv und fordernd, ambitioniert und lehrreich.
Demon Copperhead
- Seitenzahl:
- 864 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28396-0
- Preis:
- 26 €