Buchcover: Richard Powers, „Das große Spiel“ © Penguin

Roman "Das große Spiel": Eine Geschichte der Ozeane

Stand: 10.10.2024 06:00 Uhr

Richard Powers führt seine Leserinnen und Leser hinab in die Tiefe des Meeres. "Das große Spiel" ist ein vielschichtiger Roman, der daran erinnert, wie beeindruckend dieses Reich unter Wasser ist. Er handelt auch von der Faszination des Spielens.

von Niels Beintker, BR

Immer wieder beschäftigt sich der US-amerikanische Schriftsteller Richard Powers in seinen Romanen mit naturwissenschaftlichen Themen und verbindet diese mit den Geschichten, die er erzählt. In "Das Echo der Erinnerung" spielen unter anderem neurowissenschaftliche Fragen eine wichtige Rolle. In "Die Wurzeln des Lebens" schreibt Powers über biologische Forschungen und über Menschen, die sich, auf unterschiedliche Weise, mit Bäumen beschäftigen.

Der neue Roman "Das große Spiel" - im Original "Playground" - setzt die künstlerische Spiegelung der Naturwissenschaften fort, jetzt mit Blick auf die Meeresforschung, die Ozeanologie. Eine der Hauptfiguren ist eine Pionierin in dieser Disziplin, Teile des Romans spielen auf einer Insel in Französisch-Polynesien und auch unter Wasser.

Richard Powers: "Makateas politische Krise ist unsere Krise"

Wird die kleine Insel noch einmal zum Spielfeld internationaler Investoren? Vor dieser Frage stehen die 80 Bewohner von Makatea, mitten im Pazifischen Ozean. Bis in die 1960er-Jahre wurde dort rücksichtslos Phosphat abgebaut. Nun könnte eine Basis für ein gigantisches Wohnprojekt auf dem Meer entstehen: Es kann der Insel einerseits Wohlstand bringen, sie gleichzeitig aber tiefgreifend verändern. Die Bewohner sollen über das sogenannte "Seasteading", den Bau von schwimmenden Wohn- und Lebensstätten auf dem Meer, abstimmen. Das ist die Rahmenhandlung des Romans.

"Wofür entscheidest du dich? Für ein Krankenhaus und eine Schule? Für ein komfortableres Leben?", fragt der Schriftsteller Richard Powers. "Oder möchtest du, dass die Insel sich weiterhin erholt von den Folgen des früheren Rohstoffabbaus? Das ist die politische Herausforderung. Makateas politische Krise ist unsere Krise. Es die Frage für den gesamten Globus."

Die Faszination der Unterwasserwelt

Das Monster Kapitalismus zeigt sich in Powers Roman in verschiedener Gestalt: in den "Seasteading"-Plänen, in den verlassenen Minen auf der Insel, im Plastikmüll, der an den Stränden von Makatea liegt. Ebenso in der Welt, aus der Todd Keane, eine der Hauptfiguren, stammt.

Er ist ein Pionier der Computertechnologie und mit der Entwicklung von Software stinkreich geworden. An einer unheilbaren Krankheit leidend diktiert er einer KI die Lebensgeschichte - eine Erzählebene im Roman. Richard Powers sagt, Todd Keane sei in vieler Hinsicht ein Alter Ego. Wie er stammt auch diese Figur aus der North Side von Chicago: "Seine Familie ist viel wohlhabender als meine. Wir waren eher Eindringline in der North Side. Ich habe mich immer wie ein Spion gefühlt. Wir beide teilen aber auch den frühen Traum, dass wir die Welt unter Wasser erforschen können." Es gebe eine Verbindung, die mit dem Beginn der digitalen Revolution zusammenhinge. "Wie ich war Keane total fasziniert vom Programmieren. Für uns war das eine komplett neue Bedeutung der Welt."

Später studiert Todd Keane - wie Richard Powers - an der University of Illinois, in Downstate. Ebenso Rafi Young, die zweite Hauptfigur. Er ist schwarz und stammt aus dem Süden Chicagos, aus einer prekären Welt. Als kleiner Junge wird er von seinem Vater zum Lesen gedrillt, daraus erwächst aber eine große Liebe zur Literatur. Rafi besucht, keineswegs selbstverständlich für ein Kind seiner Herkunft, eine private katholische Schule und lernt dort Todd kennen. Sie werden Freunde und fanatische Schach- und Go-Spieler.

"Das große Spiel" erzählt auch von der Faszination des Spielens. "Vom Intellekt her unterscheiden sie sich in einigen Punkten", findet Powers. "Todd tendiert zum Technologischen, er profiliert sich in der Informatik. Rafi ist zuallererst ein Humanist. Es ist auch ein Wettstreit zwischen zwei unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt. Hier die technologische und rationale Ordnung. Und dort die Welt der Gefühle, der Selbstbeobachtung, der Kunst. Rafi widmet sich dem Irrationalen und Unbewussten."

"Das große Spiel": Ein vielschichtiger Roman

Die Freundschaft zwischen Rafi und Todd zerbricht eines Tages, das Spiel der beiden gegeneinander geht derweil weiter und führt zu den "Seasteading"-Plänen. Zwei weitere Figuren - und ihre Lebensgeschichten - sind mit diesem Duo verbunden: Ina Aroita, Bildhauerin, Rafis Frau. Sie und ihre Kinder leben auf Makatea. Und Evelyne Beaulieu, seit der Kindheit begeisterte Taucherin. Sie zählt zu den Pionierinnen der Ozeanologie und war an den berühmten Tektite-Forschungsmissionen 1969 und 1970 beteiligt. "Wir Menschen leben im kleinsten Teil der Biosphäre", erzählt Powers. "Die Geschichte, deren Teil wir sind, seit unvorstellbar langer Zeit, ist zum größten Teil eine Geschichte der Ozeane. Wenn wir wirklich verstehen wollen, was das Leben auf der Erde bedeutet, müssen wir sagen: Es ist ein Ozean-Planet."

Evelyne Beaulieu lebt, 92 Jahre alt, auf Makatea. Auch sie soll über die Zukunft der Insel abstimmen. Mit ihrer Geschichte, inspiriert durch die Biografie der amerikanischen Ozeanografin Sylvia Earle, führt Powers seine Leserinnen und Leser hinab in die Tiefe des Meeres, ins Herz der großen Ozeanmaschine, auf die Hauptbühne des Lebens, wie es heißt in "Das große Spiel". Ein vielschichtiger Roman, der daran erinnert, wie beeindruckend dieses Reich unter Wasser ist. Und ebenso daran, dass wir uns um die Zukunft dieses übergroßen Teils der Erde sorgen müssen.

Das große Spiel

von Richard Powers
Seitenzahl:
512 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Verlag:
Penguin
Bestellnummer:
978-3-328-60371-9
Preis:
26 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 10.10.2024 | 12:40 Uhr

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Romane

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