Richard Russos "Mohawk": Der umgekehrte amerikanische Traum
In seinem Debütroman, der nun erstmals auf Deutsch vorliegt, schaut Richard Russo in die Seele von einfachen Menschen. Trotz einiger Längen ist "Mohawk" durchaus gelungen.
"The Great American Novel" – Der große amerikanische Roman, das ist ja fast so ein Genre für sich. Das sind Romane, die die Frage stellen: Was ist das? Amerika. Was ist der Kern dieses Landes? Die Bandbreite der Autoren ist gewaltig, Mark Twain, F.Scott Fitzgerald, Jonathan Franzen oder Toni Morrison, sie alle haben solche Bücher geschrieben. Und auch Richard Russo. Einige seiner Werke, wie "Empire Falls" wurden sogar groß in Hollywood verfilmt. Jetzt erscheint ein neuer und gleichzeitig alter Richard Russo-Roman. "Mohawk" ist sein Debütroman von 1986, der nun erstmals auf Deutsch vorliegt.
Eine Stadt liegt im Sterben
Mohawk, das ist eigentlich ein Volk amerikanischer Ureinwohner. Keine Spur von ihnen im verschlafenen Städtchen Mohawk im US-Bundesstaat New York. Diese Stadt ist weiß. Es ist 1966 und der Ort liegt im Sterben. Die Gerberei, in der die Männer über Generationen gearbeitet haben, ist Geschichte. Hat zuvor aber das Grundwasser so verseucht, dass hier viele krank geworden sind. Im Zentrum liegt das Diner von Harry, der hier jeden kennt.
Er schlägt zwei Eier über dem Grill auf, wo sie fröhlich vor sich hin brutzeln. Bis Herb beschließt, dass er gern Spiegeleier zum Frühstück hätte, werden sie fertig sein. (…) Fast immer bestellt Herb Speck oder Würstchen dazu, weil Schinken zehn Cent mehr kostet. (…) "Zwei Spiegeleier", sagt Herb hinter der Speisekarte. "Und Würstchen." Leseprobe
Es gibt eine ganze Reihe von Figuren, deren Wege sich in Mohawk kreuzen. Anne ist 40, hat sich nie getraut wegzugehen und ist unglücklich in einen verheirateten Mann verliebt. Mather hat früher in der Gerberei gearbeitet, jetzt hat er Krebs und hat noch eine Fehde mit einem alten Arbeitskollegen. Dallas ist ein Tunichtgut, der allen Geld schuldet, dem aber keiner was Böses will.
Dallas selbst trug nie etwas auf oder wohnte etwas ab. Er verlor Dinge, ehe sich der Verschleiß bemerkbar machen konnte. Seine Sachen waren nie zerlumpt, denn wenn er zum Waschsalon ging, brachte er es immer fertig, mindestens eine Maschinenladung zu vergessen. Verlust war das zentrale Merkmal seiner Existenz. Leseprobe
"Mohawk": Gelungener Roman trotz wenig Handlung
Richard Russo erzählt hier von denen, die den umgekehrten amerikanischen Traum leben. Hier werden die Tellerwäscher nicht Millionär, der Wohlstand dieser Gruppe Menschen löst sich auf. Es ist ein Lebensthema von Richard Russo, wie er vor einigen Jahren dem Magazin "Der Spiegel" sagte: "Ich bin in einer solchen Welt aufgewachsen. In meiner Heimatstadt (…) begann der Niedergang in den späten 50er-Jahren. (…) Etwa 90 Prozent aller (…) Lederwaren wurden damals in Gloversville produziert. Dann wurden die Jobs ins Ausland verlagert."
Wer andere Russo-Romane gelesen hat, wird einige Elemente wiedererkennen. Ein zentrales Diner, jahrzehntelange Konflikte zwischen Eltern und Kindern, Familienfehden, ein Gewaltakt am Ende. "Mohawk" hat die Russo-DNA. Was ein bisschen fehlt, ist Handlung. Die Figuren denken viel nach, aber sie machen wenig. Es ist sehr statisch. Das passt zu dieser biederen Kleinstadt, ist aber stellenweise leider auch ein bisschen langweilig.
Richard Russo hat nach diesem Debüt bessere Bücher geschrieben. Trotz einiger Längen ist "Mohawk" aber durchaus gelungen. Er schaut in die Seele von einfachen Menschen, für die gesellschaftliche Veränderungen, wie der Niedergang der örtlichen Wirtschaft, große Konsequenzen im Alltag haben. Das ist auch 37 Jahre nach dem ersten Erscheinen eine Geschichte, die nie alt wird.
Mohawk
- Seitenzahl:
- 496 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Amerikanischen von Monika Köpfer
- Verlag:
- Dumont
- Bestellnummer:
- 978-3-8321-8228-1
- Preis:
- 26 €