Die Suche nach KZ-Kommandant Höß
Eine Rezension von Igal Avidan
Beinahe 70 Jahre sind vergangen seit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Rudolf Höß, der langjährige Kommandant, hatte nach Kriegsende zunächst untertauchen können. Erst 1946 wurde er aufgespürt - von Hanns Alexander, einem britischen Offizier deutsch-jüdischer Abstammung. Die Geschichte dieser beiden Männer, die unterschiedlicher kaum sein konnten, hat Thomas Harding jetzt aufgeschrieben: "Hanns und Rudolf", so der Titel des Buches, das gerade auf Deutsch erschienen ist.
Die Aufklärung über die Massenvernichtung im Konzentrationslager Auschwitz begann im März 1946 in einem Bauernhof bei Flensburg. Hier wurde nach monatelanger Verfolgung der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß gestellt. Kurze Zeit später berichtete er als erster über das Vernichtungslager. Verfolgt hatte ihn ein britischer Offizier, dessen jüdische Familie aus Nazi-Deutschland geflohen war: Hanns Alexander, er war der Großonkel des Buchautors Thomas Harding:
"Dann werden wir den Finger einfach abschneiden"
Initiiert wurde dieses Buch durch die Grabrede für Alexander 2006, wo Harding zum ersten Mal die Geschichte der Verhaftung von Höß hörte. Er stieß danach auf Interviews mit Großonkel Alexander, in dem dieser auch über die Höß-Festnahme berichtet hatte: "Wir klopften nach 23 Uhr an die Tür. Und obwohl 50 Menschen auf diesem Anwesen lebten, öffnete ausgerechnet er. Bevor er in die Zyanid-Kapsel beißen konnte, steckte ich meine Pistole in seinen Mund. Wir zogen ihn aus, der Arzt untersuchte ihn und er behauptete wiederholt, er sei gar nicht Rudolf Höß. Ich bat um seinen Hochzeitsring, er sagte, der geht gar nicht runter. 'Kein Problem', sagte ich, 'dann werden wir den Finger einfach abschneiden.' Auf der Innenseite des Rings fanden wir seine und ihre Initialen sowie das Datum ihrer Hochzeit."
Die lange Suche nach Höß' Tochter
Thomas Harding verheimlicht nicht, dass Alexander seinen Soldaten erlaubte, Höß zu verprügeln, aber nicht zu töten. So konnte er nur ein Monat später im Nürnberger Prozess als erster aus der Nazi-Führung seine Verantwortung für die Ermordung von zweieinhalb Millionen Menschen bis zu seiner Versetzung Ende 1943 einräumen. Später wurde die Zahl auf eine Million nach unten korrigiert.
Alexanders Geschichte führte Harding zu Höß' Geschichte. Um ihn aus der Nähe beschreiben zu können, suchte er jahrelang dessen Tochter, die schließlich einwilligte, aber selbst anonym bleiben wollte. Sie erzählte von einer glücklichen Kindheit mit dem "besten Vater der Welt", wie sie sagt - direkt an der Außenmauer von Auschwitz, das Rudolf 1940 selbst errichtete:
Eine faktenreiche Doppel-Biografie
Wir erfahren, wie sehr Höß unter dem enormen Arbeitsdruck litt, dass er zu trinken begann und eine Geliebte fand, eine KZ-Gefangene, die gleich auf der anderen Seite der Außenmauer eingesperrt war. Das hätte ihm beinahe seinen Posten gekostet. Aber SS-Chef Heinrich Himmler beschützte Höß, weil dessen Todesfabrik inzwischen 2.000 Menschen pro Stunde ermordete. Schließlich musste Höß gehen, aber nicht wegen der Judenvernichtung, sondern wegen zahlreicher Korruptionsfälle unter den Wächtern und wegen spontaner Erschießungen polnischer und russischer Häftlinge!
Thomas Harding ist es gelungen, eine sehr lesbare, faktenreiche Doppel-Biografie zu schreiben, die Deutschland aus ganz konträren Seiten beleuchtet. Hier eine liberale, wohlhabende jüdische Familie Alexander; da eine abgestumpfte, gewalttätige und streng katholische Familie Höß. 1947 wird Höß im früheren KZ-Auschwitz hingerichtet. Alexander wird in London ein "netter Onkel", britischer Patriot und aktives Mitglied der Synagogen-Gemeinde. Er weigert sich, jemals wieder deutschen Boden zu betreten.
Hanns und Rudolf. Der deutsche Jude und die Jagd nach dem Kommandanten von Auschwitz
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28044-0
- Preis:
- 24,90 €