von Annemarie Stoltenberg

In vielen Passagen vermittelt dieser Roman eine Anmutung von mit Lebensfreude und Genuss getränkten Sommertagen in Südfrankreich. Aber die Menschen können offenbar nirgends das Leben einfach so genießen und einander in Frieden leben lassen. Jede Menge Stress also unter Leuten, die sich lieben, und in den Familien.

Die Liebe, die man schenkt und die man empfängt

Es beginnt mit einem Prolog, der von einem gruseligen Unfall erzählt. Irgendwo in der freien Natur, nicht in Südfrankreich, sondern im Norden des Bundesstaates New York, in den Catskills, wird ein junger Mann beim Joggen von einem Auto angefahren - absichtlich.

Zum Glück hat jemand den Unfall beobachtet und einen Rettungshubschrauber gerufen. Dann beginnt die eigentliche Romanhandlung. Ein Mann namens Marc benachrichtigt die Mutter seines Lebensgefährten Alexis, dass ihr Sohn in einem New Yorker Krankenhaus im Koma liegt. Marc verabredet mit der Frau, dass sie sich in Paris treffen und so schnell wie möglich zusammen nach New York fliegen wollen, um sich um Alexis zu kümmern. Während dieser Vorbereitung und der Zeit des Fluges gibt es Rückblenden in die Jugend der beiden jungen Männer. Marc stammt ursprünglich aus Korsika. Als sein Vater ihn während der Pubertät mit einem anderen Jungen sieht, verbannt er ihn aufs Festland und hat seitdem nie wieder mit ihm gesprochen.

Marc ist inzwischen ein international erfolgreicher Banker geworden. Mit der Liebe hatte er weniger Glück. Seine Liebesbeziehungen sind alle gescheitert, bis er Alexis getroffen hat, die Liebe seines Lebens. Alexis hat seiner Familie bisher noch nie gesagt, dass er Männer liebt. Nur sein inzwischen verstorbener Großvater hatte es offenbar gewusst:

In seiner Kindheit hatte er ihm oft gesagt, dass er ein fantastischer Enkelsohn sei und es völlig egal sei, was die anderen denken. Im Leben zähle einzig die Liebe, die man schenkt, und die Liebe, die man empfängt, nichts anderes. Leseprobe

Wer hat Alexis angefahren?

In seiner Kindheit gab es einen Lehrer, der sexuell übergriffig war. Aber später merkt Alexis, dass seine Homosexualität nichts mit dieser traumatischen Erfahrung zu tun hat. Ein Gespräch mit seiner Mutter darüber hat er bisher noch nie geführt.

Er wollte sie vollständig einweihen, sich ihr wieder annähern, aufrichtig sein, und plötzlich sitzt er in der Falle. Mutter und Sohn machen Späße in der Sonne. Doch innerlich ist Alexis zutiefst betrübt: Ein Teil seines Lebens wird im Dunkeln bleiben. Leseprobe

… heißt es in einer der Rückblenden in die bisherigen Lebensläufe von Marc und Alexis. Seine Mutter ist entsprechend überrumpelt, als sie auf dem Weg zu ihrem im Koma liegenden Sohn den Lebensgefährten ihres Sohnes kennenlernt. Während dieser Rückblicke in die Lebensläufe der beiden Männer ergeben sich immer wieder neue Verdächtigungen. Wer könnte den heimtückischen Anschlag auf Alexis verübt haben? War es der eifersüchtiger Ex-Liebhaber des einen - oder der narzisstisch schwer gestörte Freund des anderen? Jemand aus der Familie? Der Vater - aus später Rache am verlorenen Sohn?

"Nacht ohne Morgen": Liebenswürdig und spannend

Benoit d'Halluin beschreibt die Selbstheilungskräfte, die im Körper schlummern, und die Kraft, die dazugehört, Lebenslügen aufzudecken und sich der Wahrheit zu stellen. Daneben ist es atemberaubend, herauszubekommen, wer den Anschlag auf Alexis verübt hat. Auf den letzten 40 Seiten ahnt man, wer dahintersteckt und möchte dringend, dass diese ruchlose Tat aufgedeckt wird. Es ist ein ebenso liebenswürdig wie spannend inszenierter Roman.

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