Komik auch in traurigen Momenten: "Aufrappeln" von Judith Poznan
"Aufrappeln" ist das zweite Buch der Berliner Autorin Judith Poznan. Mit ihrem Debüt "Prima Aussicht" wurde sie bekannt. Beide Bücher sind eine Mischung aus Dichtung und Realität mit der Autorin als Hauptfigur.
Gäbe es einen Wettbewerb um den besten ersten Satz, dann gehörte dieser von Judith Poznan auf jeden Fall auf einen der vorderen Plätze:
Es begann alles mit dem Kopf einer Ratte in meinem Klo am Morgen des Karfreitags. Leseprobe
Eine Ratte als schlechtes Omen
Zuvor hatte es in der Küche der Ich-Erzählerin Judith schon widerlich aus dem Abfluss gerochen und unheimliche Kratzgeräusche hinter den Badezimmerfliesen gegeben. In der Rückschau könnte das als schlechte Zeichen gedeutet werden. Denn kurz darauf wird Judith von ihrem Freund Bruno verlassen:
Gerne würde ich jetzt schreien, bedauerlicherweise bin ich es aber nicht gewohnt zu schreien. Plötzlich aufstehen und meine Stimme durch das ganze Wohnzimmer jagen, bis raus auf die Straße, das wär’s. (...) Aber stattdessen nur Sitzen, Schweigen, nichts weiter. Wir machen Schluss und können morgen nicht mehr zusammen irgendwohin fahren. Diese erste Erkenntnis, sie schmerzt. Leseprobe
"Ich muss Dinge erleben, nach Hause rennen und sie aufschreiben"
Autofiktionales Schreiben, diese Mischung aus Dichtung und realen Ereignissen, ist nicht neu, aber momentan gerade sehr angesagt. Auch Judith Poznan schreibt autofiktional. Im NDR-Literaturpodcast EatReadSleep erzählte sie, dass sie nur so schreiben könne: "Ich bin tatsächlich keine Autorin, die fähig ist, sich irgendwas auszudenken wie so eine Fantasyschriftstellerin. Ich muss tatsächlich Dinge erleben und dann schnell nach Hause rennen und sie aufschreiben." Sie sehe keinen anderen Sinn im Schreiben, als den Versuch, sich selbst zu verstehen, betont die Autorin.
Beim Lesen hat man oft das Gefühl, dem Menschen Judith Poznan sehr nahe zu kommen. Manchmal möglicherweise fast zu nah: "Aber klar muss man auch sagen, dass wenn man einen autofiktionalen Text schreibt, man zieht blank. Also, es ist auch viel Scham mit dabei. Es gab ja viele Kapitel, wo ich mich gefragt habe: kann ich das? Kann ich das? Dann hab ich es einfach gemacht."
Ein Buch über die Liebe und das Scheitern
Judith Poznan erzählt in ihrem Buch über eine junge Frau namens Judith Poznan, die in einer Lebenskrise steckt. Sie ist plötzlich alleinerziehend, muss sich eine neue Wohnung suchen und mit Bruno trotz Trennung klarkommen, weil er nun mal der Vater ihres Sohnes ist. Die Stärke der Autorin Judith Poznan ist ihre Beobachtungsgabe. Wie sie mit klarem Blick auf ihr Leben schaut und darin viel Komik, auch in den traurigen Momenten entdeckt. Vor allem ist "Aufrappeln" aber ein Buch über die Liebe und das Scheitern:
Ich wollte aus unserer Wohnung ein Zuhause machen, mit Schnittblumen und zu vielen Bilderrahmen. Ich wollte Kinder, die es eklig finden, wenn wir uns küssen. Ich wollte den Markt, auf den wir jeden Samstag Händchen haltend rübergehen. Ich wollte die Hochzeit, die trotz des Regens eine schöne war. (...) Ich wollte das ganze Leben, die Höhen und die Tiefen, den Tag und die Nacht, ich wollte die große Liebe und im wenigen das Glück. Leseprobe
Melancholischer und zweifelnder als "Prima Aussicht"
Schön ist, wie die Autorin im Nachdenken über ihre derzeitige Situation immer wieder zurückschaut, in ihre Kindheit, auf die Beziehung ihrer Eltern oder ihre erste Verliebtheit. "Aufrappeln" ist nicht ganz so auf Pointe geschrieben wie das Vorgängerbuch "Prima Aussicht". Der Ton ist etwas melancholischer und zweifelnder. Auch das kann Judith Poznan ganz hervorragend.
Aufrappeln
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Dumont
- Veröffentlichungsdatum:
- 18.05.2023
- Preis:
- 22 €