Cover: Tommie Goerz, "Im Schnee“ © Piper Verlag

"Im Schnee": Ein ruhiger Roman über Freundschaft und Verlust

Stand: 20.01.2025 06:00 Uhr

Tommie Goerz kann auf eine erfolgreiche Karriere als Krimiautor verweisen. Wie stark er aber außerhalb dieses Genres ist, hat er mit "Im Tal" bewiesen. Jetzt folgt sein zweiter Roman, mit dem sich Goerz vom Krimigenre befreit.

von Jens Büchsenmann

Schon das Buchcover strahlt diese Ruhe aus und zieht uns in die Geschichte hinein: Abgebildet sind ein paar Hütten, ein tief verschneites Dorf in den Bergen, man ahnt die Stille, die richtiger Schnee - ganz so wie früher - über die Menschen bringen kann. Und so, wie diese wenigen Pinselstriche Atmosphäre schaffen, findet Tommie Goerz eine Sprache, deren Ökonomie sich schon in den ersten sieben Sätzen seines Romans erschließt:

Unter den Apfelbäumen lag Schnee. Der Max stand am Fenster und sah hinaus in den Garten. Es war längst Vormittag. Er hatte seinen Küchenherd eingeschürt, sich einen Kaffee gemacht - und jetzt war nichts mehr zu tun. Es schneite, und er musste nicht nach draußen. Er hatte alles, und niemand wartete auf ihn. Es hätte ein so schöner Tag werden können. Leseprobe

"Es hätte ein so schöner Tag werden können" - bei diesem Cliffhanger-Satz blitzt der Krimiautor durch, der Tommie Goerz in seinem früheren Schriftstellerleben war.

Eine längst vergessene Langsamkeit

Sparsamkeit und Dichte gleichermaßen: Es ist hohe Kunst, wie uns der Autor in das fiktive Dorf mit dem Namen Austhal zieht. Wenige Personen, die Enge des Ortes, der kurze Zeitraum von nur sieben Tagen, der auf nur 170 Seiten ganz unaufgeregt, einfach so, erzählt wird. Von Äpfeln, zum Beispiel, die in diesem Roman - wie der Schnee - uns diese Menschen im Dorf näherbringen.

Später zerteilte er einen Apfel, aß ihn langsam Schnitz für Schnitz, sah auf seine faltigen Hände und dachte an den Wenzels Schorsch, denn der Apfel war ein Martini. Vielleicht gab er ihm einen davon mit ins Grab und einen Rheinischen Krummstiel mit dazu. Leseprobe

Schnitz für Schnitz spüren wir die Zeit verstreichen in einer längst vergessenen Langsamkeit. Einer Ruhe, für die die ruhig und schwer fallenden Schneeflocken das intensive Bild in grau-weiß-nebligen Farben liefert.

Erinnerungen an eine tiefe Freundschaft

Als die Totenglocke im Dorf erklingt, ahnt Max, dass wohl sein lebenslanger Freund, der Schorsch, gestorben ist. Er bricht auf, um zu erfahren, wann die Totenwache beginnt. Im Dorf wird nicht telefoniert, höchstens beim Stanglwirt, wo der Apparat an der Wand hängt und die "Glocke draußen am Hof anschlägt, damit jeder im Dorf es hören kann".

Also geht der Max langsam, mit seinem Stock, an den Höfen vorbei und hängt seinen Erinnerungen nach. An die Freundschaft zu Schorsch, die wohl tiefer ist, als es Max sich eingesteht. Und an die Frauen, die sie hätten haben können. Aber dann hat die Maicherd sich doch für den Schorsch entschieden und Max ist allein geblieben. Was ihre Freundschaft aber nicht gestört hat.

Jetzt richtet die Maicherd die Totenwache aus, die hier im Oberfränkischen "Totenwacht" heißt. Am Tag sitzen die Männer aus dem Dorf beim Toten. Denn sie müssen am Morgen wieder arbeiten gehen. Die Frauen sitzen spätabends und nachts beim aufgebahrten Schorsch. Nur der alte Max darf bei ihnen bleiben.

Der Schorsch hatte es schon richtig gemacht, er war einfach gestorben. Hatte sich hingelegt und Schluss. Max öffnete die Augen und nickte dem Toten zu. Ob er das auch so schaffen würde? Er knetete seine Finger, bewegte seinen Unterkiefer und schluckte. Leseprobe

Tommie Goerz' Roman ist schieres Glück

Auch hier deutet Tommie Goerz nur an, wie tief die Trauer beim Max wohl ist, vielleicht die Ahnung vom eigenen Ende. Dabei hält der am Krimi geübte Autor in der Stille unter dem Schnee die Spannung, ob wir als Leser den Max wohl bis zu Ende begleiten werden. Denn da ist noch der geheimnisvolle Fremde aus der Stadt, ein Wanderer, dem auch Max auf den letzten Seiten wieder begegnen wird. Dessen Rolle hat etwas, das wie im Film auf das Ende dieses Romans zuläuft, eines Romans, der für Leser ein schieres Glück ist. Weil er das Leben feiert, auch wenn so viel vom Tod die Rede ist.

Im Schnee

von Tommie Goerz
Seitenzahl:
176 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Piper
Bestellnummer:
978-3492073486
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 20.01.2025 | 12:40 Uhr

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Romane

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