"Hotel Paraíso": Viel Sprachkonfetti, wenig Handlung
Arezu Weitholz schreibt Songtexte unter anderem für Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg. Ihr Markenzeichen: originelle Sprachbilder. Allerdings geht das Konzept in "Hotel Paraíso" nicht vollkommen auf.
Auch ein Hotel kann, wie ein Schiff, zu einem Ort werden, aus dem man nicht so einfach entkommt. Jedenfalls, wenn man der Hotelbesitzerin versprochen hat, das vorübergehend verlassene Anwesen für ein paar Tage zu hüten. Für Frieda bedeutet dieser Job in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr eine willkommene Auszeit. Sie ist von Beruf Synchron- und Hörbuchsprecherin; aber dann hat im Studio ihre Stimme versagt.
Eine Heldin mit Seelenballast
Es gibt sicher größere Zumutungen, denn das mondäne "Paraíso" liegt so, wie es heißt - paradiesisch, direkt an der portugiesischen Algarve. Die Zumutung liegt allein im Aufsichgestelltsein. Denn außer dem Labrador Otto, dem ab und an vorbeischauenden Hausmeister Joao und dem manchmal herumspukenden Nachtwächter ist niemand da, mit dem Frieda sprechen kann.
In ihrem letzten Roman "Beinahe Alaska" hat Arezu Weitholz ihrer Heldin, der Fotografin auf einer Kreuzfahrt, ganz ähnlichen Seelenballast mitgegeben. Wie sie kommt sich auch Frieda in ihrem Leben fremd und deplatziert vor, stellen sich Sinnfragen. Dazu gehört bei beiden das Bedauern, keine Kinder zu haben:
"Manchmal denke ich, dass mir eine Lebensfarbe entgangen ist, weil ich keine Kinder habe, Sagen wir, mir fehlt das Rot. Oder vielleicht nicht ganz so drastisch, mir fehlt Lila." Buchzitat
Arezu Weitholz legt Friedas Innerstes schichtweise frei. Ihre behütete Kindheit in einem niedersächsischen Dorf hat Risse bekommen, als sie erfahren hat, dass sie adoptiert wurde. Und weil ihre leiblichen Eltern nicht aus Deutschland stammten, wurde Frieda schon im Kindergarten wegen ihres "Andersseins" gehänselt. Für sie wurden Bücher zur Rettungsinsel:
"Ich identifizierte mich mit dem kleinen Muck, einem kleinwüchsigen Jungen mit zu großem Kopf, der drei bis vier Schuh hoch war und von seinen Verwandten in die Welt hinausgejagt wurde." Buchzitat
"Hotel Paraíso": Zu sehr "Nabelschau"
Arezu Weitholz ist eine Schriftstellerin mit Markenzeichen: Unermüdlich beseelt sie Gegenstände und Landschaften mit ihren originellen Sprachbildern, schöpft sie aus einer nicht versiegenden Quelle aus Metaphern, etwa wenn der brummende Kühlschrank zum "Silberrücken", wird oder Frieda aus der "Blindenschrift des Strandes" liest, die aus Fußabdrücken, Muscheln und Steinen besteht.
Virtuose Wortjonglage plus melancholischer Grundton, das bringt den Roman erstmal zum Klingen, aber dann nicht wirklich zum Schwingen. Das Sprachkonfetti legt sich auf Dauer bleischwer über die Handlung, der es an dramaturgischem Drive mangelt. Während die Kulisse des Kreuzfahrtschiffs im Vorgängerroman "Beinahe Alaska" nämlich für viel Bewegung und Abwechslung sorgte, wird Friedas Identitätssuche im stillgelegten Hotel Paraíso zu sehr "Nabelschau". Und wer möchte beim Lesen nicht lieber auf den weiten Horizont schauen, statt immer auf denselben Punkt?
Hotel Paraíso
- Seitenzahl:
- 176 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Mareverlag
- Bestellnummer:
- 978-3-86648-744-4
- Preis:
- 23 €