"Gefährten": Anspruchsvoller Roman voller literarischer Rätsel
Es ist ein literarisches Wunder, wie dieser Text von Ali Smith eine Flut von eigenen Gedanken, Erinnerungen und Visionen auslöst. "Gefährten" ist ein Roman, der intensives Mitdenken fordert.
Es ist eines dieser Bücher, bei denen man dauernd vergisst, wo man vorher aufgehört hatte zu lesen. Eine richtige Handlung gibt es kaum. Die Ich-Erzählerin heißt Sandy. Sie ist Künstlerin und hütet das Haus und den Hund ihres Vaters, der sich während des Lockdowns im Krankenhaus befindet. Sie macht sich große Sorgen um ihn und er sich seinerseits um sie. Sie versuchen zumindest täglich miteinander zu sprechen, wegen der Ansteckungsgefahr übers Bildtelefon. Er hört - nach Art von Vätern - nicht auf, seine Tochter mit Lebensweisheiten zu versorgen. Oder stellt sie sich das nur vor? Er hört einen Song, in dem es um Martin Luther geht, der vor der Tür steht:
"Nix wie aufmachen, ehe er sie als Anschlagtafel benutzt", sagt mein Vater. Leseprobe
Die Tochter findet es zu riskant, Fremden einfach die Tür zu öffnen. Was ist, wenn sie böse Absichten haben?
"Trotzdem. Bitte sie herein. Setz Wasser auf. (…) Du kannst dich ausdrücken", sagt er. "Mit der Stärke kann eine Faust nicht mithalten. Und mit Wasser aufsetzen meine ich höflich sein. Freundlich bleiben, was auch passiert, was auch kommt. Auch das ist Widerstand. In der Not anständig bleiben, anständig bleiben, auch in der Not, hat deine Mutter immer gesagt." Leseprobe
Ungebetene Eindringlinge
Sandy hat einen Anruf bekommen von einer früheren Freundin, die sie seit Jahrzehnten nicht getroffen hat. Sie erzählt ihr von einem kunstvoll geschmiedeten Türschloss aus dem Mittelalter, das sie angeblich aufgespürt hat. Kurz darauf bekommt Sandy Besuch von den erwachsenen Kindern dieser Frau, die sie bezichtigen, ihre Mutter belästigt zu haben und ihre Familie zerstören zu wollen. Sie dringen in ihr Haus ein und rechtfertigen das mit unfassbarer Demagogie und Unverschämtheit. Sandy zieht sich in das Haus ihres Vaters zurück, der ja im Krankenhaus liegt. Sie ruft in ihrem eigenen Haus an und hat Lea am Apparat, die einfach dort geblieben ist.
"Bis zu uns ist es weit zu fahren, und ich habe, wie du sehr wohl weißt, denn das haben wir schon besprochen, im Augenblick nichts, wo ich sonst wohnen kann. Außerdem haben wir den ganzen Abend gewartet, dass du wiederkommst, das ist der einzige Grund, weswegen wir noch hier sind. Und jetzt sagst du, du kommst nicht wieder. Das hättest du uns ruhig früher sagen können. Ganz schön unhöflich von dir, dass du das nicht getan hast." "Großer Gott", sagte ich. "Ich. Unhöflich. Ihr seid in meinem Haus (…)." Leseprobe
"Gefährten": Ein Roman, der intensives Mitdenken fordert
Ein weiterer eingebauter Handlungsstrang geht zurück ins Mittelalter, zum Schicksal eines streunenden Mädchens, das von einer starken Frau aufgenommen und zur Schmiedin ausgebildet wird.
"Und du, noch jung und ein Mädchen, musst dich doppelt vorsehen. Sie schreien ja ständig, die Nägel für die Kreuzigung hätte eine Frau gemacht, nachdem ihr Mann, der Schmied, sich geweigert hatte. Als ob eine Geschichte der Beweis dafür wäre, dass wir furchterregende Wesen sind, voller Verderbtheit, und sie uns deswegen in unserer eigenen Esse verbrennen können, wenn ihnen der Sinn danach steht." Leseprobe
Die Fäden der einzelnen Geschichten bleiben lose, werden nicht miteinander verknüpft und es ist ein literarisches Wunder, wie dieser Text eine Flut von eigenen Gedanken, Erinnerungen und Visionen auslöst. Es muss eine anspruchsvolle Übersetzungsarbeit gewesen sein für Silvia Morawetz. Es ist ein anspruchsvoller Roman, der intensives Mitdenken fordert und Freude an literarischen Rätseln in diesem magischen Realismus auslöst.
Gefährten
- Seitenzahl:
- 254 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Silvia Morawetz
- Verlag:
- Luchterhand
- Bestellnummer:
- 978-3-630-87728-0
- Preis:
- 24 €